HELSINKI. An solche Szenen aus der
Schulzeit erinnern sich viele: Die Lehrerin malt in schönster
Schnörkelschrift ein geschwungenes G oder L an die Tafel. Beim Nachmalen
im eigenen Heft sehen die Buchstaben dagegen wie ein Gekrakel aus. Die
Hausaufgabe: drei Reihen voller G's, vier Reihen L's. In Finnland
bleiben Grundschülern diese Fingerübungen bald erspart. Ab dem Herbst
2016 müssen sie die Schreibschrift nicht mehr lernen - und sollen
stattdessen dem flinken Tippen auf der Tastatur mehr Zeit widmen.
"Vernünftig",
finden die Finnen. In Deutschland schütteln Fachleute den Kopf über den
"Irrweg" der früheren Pisa-Champions.
"Das ist der Kniefall vor der fortschreitenden motorischen Verarmung
unserer jungen Leute", sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands,
Josef Kraus. In Finnland hatten sich Lehrer darüber beklagt, dass das
Lernen der Schreibschrift im ersten und zweiten Schuljahr sehr viel Zeit
raube - und für manche Schüler heute motorisch einfach zu kompliziert
sei. Mit der Schreibschrift hätten besonders Jungen Probleme, sagt
Irmeli Halinen, die für die Ausarbeitung des neuen Lehrplans
verantwortlich ist. "Wir wollen mehr Wert auf IT-Fertigkeiten und die
Fähigkeit, auf iPad und Computer zu schreiben, legen."
Wer
weiter Schreibschrift unterrichten will, darf das tun. In der Praxis
wird das wohl immer seltener der Fall sein. Schreibschwache Schüler
bereiten Schulpraktikern auch hierzulande Kopfzerbrechen. In einer
Umfrage versucht der Lehrerverband gerade herauszufinden, wie ernst die
Schwierigkeiten sind. Den Schülern das Lernen der Schreibschrift zu
ersparen, sei "pädagogisch absolut falsch", meint Kraus: "Man müsste mit
Maßnahmen zur Förderung der Feinmotorik darauf antworten."
Während der Streit in Deutschland die Gemüter seit langem erhitzt, war
der pragmatische Schritt in Finnland kaum umstritten, sagt Halinen: "Es
gab ein paar wenige Diskussionen, aber wir finden, dass Kultur nicht mit
einer bestimmten Art Handschrift verknüpft ist. Es ist wichtiger, dass
die Kinder überhaupt Lesen und Schreiben lernen." Finnische Kinder
würden aber "auch weiterhin lernen, mit einem Stift zu schreiben". Dafür
reichten aber in Zukunft Druckbuchstaben statt Schnörkelschrift.
Udo
Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung sieht das völlig anders:
"Die Schreibschrift ist ein komplexerer Vorgang, als Buchstaben per
Druckschrift aneinanderzureihen" - oder sie gar zu tippen. Das sei auch
unromantisch, findet Kraus. "Ein Liebesbrief ist von Hand geschrieben
doch emotional etwas ganz Anderes als eine SMS oder eine auf der
Tastatur getippte Nachricht." Die elektronische Mitteilung dürfte
handgekritzelte Liebesbriefe allerdings ohnehin schon aus den
Klassenzimmern verdrängt haben. (dpa)
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