Mittwoch, 11. April 2018

Bildungsforscher Klein über den Wert des Abiturs in NRW

Herr Klein, das Abitur in NRW bestehen fast alle. Ist die Prüfung zu einfach geworden? 
Der Grund ist darin zu suchen, dass auf die Lehrer seit der Pisa-Studie ein Druck ausgeübt wird, dass jeder Lehrer, der eine Fünf oder Sechs vergibt, ein schlechter Lehrer ist. Die frühere NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann hat es vor einigen Jahren so propagiert. Entsprechend müssen die Lehrer, die Fünfen und Sechsen vergeben, am Wochenende Förderberichte schreiben. Dass die Lehrer die Berichte am Wochenende nicht schreiben wollen, liegt auf der Hand. Dann wird eben aus der Fünf eine Vier. Und so kommt es zu der Noteninflation.

NRW ist aber zum Teil im Schnitt besser als etwa die Bayern. Bringt das die Schüler in NRW weiter? Das ist doch fast schon Satire. Man hat längst nicht nur in NRW das Zentralabitur Mitte der 00er Jahre eingeführt, um so dem allgemeinen Empfinden der Öffentlichkeit entgegen zu treten, dass das Abitur in NRW gegenüber beispielsweise dem in Bayern praktisch geschenkt war. So wollte man unter den Ländern vergleichbarer werden. Wie unsere aktuellen Vergleichsuntersuchungen der Länder Hamburg, NRW, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Hessen zeigen, waren die Unterschiede nie größer. 

Gibt es Beispiele? 
Wir haben alle Zentralabiturarbeiten in NRW im Zeitraum von 2007 bis 2017 im Fach Biologie, Teilgebiet Ökologie, auf ihren fachlichen Schwierigkeitsgrad hin untersucht. Ökologie deshalb, weil das Teilgebiet von ca. 80 Prozent der Schüler gewählt wird. Nahezu jedes Jahr geht es um Nahrungsketten und Nahrungsnetze oder einfach ausgedrückt, wer frisst wen. Deutschlandweit bekannt geworden ist die Aufgabe zu Streifenhörnchen, Eicheln und Zecken. Die Leser dürften kaum Schwierigkeiten haben zu erraten, wer hier wen frisst oder an wem parasitiert. Selbst wenn man das nicht heraus bekäme, wäre man keinesfalls verloren. Die Antwort ist im ausführlichen Textmaterial enthalten. Gefragt ist hier Lesekompetenz und die Interpretation einfachster Grafiken auf Mittelstufenniveau. Mit Biologie hat dies eigentlich nichts zu tun. 

Was muss sich ändern? 
Wenn schon mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs derzeit die Hochschulen fluten, müsste zumindest deren Studierfähigkeit halbwegs gewährleistet werden. Dazu ist es zwingend notwendig, die dazu fachlichen Grundlagen wieder in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und die Nivellierung gerade der fachlichen Ansprüche mit einhergehender Noteninflation zu stoppen. Man muss auch mit einer Drei oder Vier studierfähig sein.

Kommentar von WDR4 zum Thema "Das Abitur – ist nicht mehr was es war?"

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