Montag, 28. Juni 2021

"Eine Schülerin griff zum Handy, als wir auf die rote Ampel zurollten"

Zu schnell gefahren, die Vorfahrt genommen, zu viele Fragen nicht gewusst: In Deutschland fielen 2017 36,8 Prozent der Schülerinnen und Schüler durch die Theorieprüfung für den Führerschein. Die praktische Prüfung schafften 28,1 Prozent nicht. Wie Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts zeigen, sind die Durchfallquoten damit so hoch wie in den letzten zehn Jahren nicht: 2008 waren es noch 30,4 Prozent Fahrschüler, die durch die Theorieprüfung fielen und 25,7 Prozent, die den praktischen Test nicht schafften. 
Die Zahlen beziehen sich auf alle Fahrzeugklassen. Verkehrsexperten sagen, dass die theoretische Prüfung nicht schwieriger geworden sei. Auch liege es nicht am Alter: Junge Menschen fallen weniger durch und fahren später sicherer. 
Besonders schlecht stehen angehende Autofahrer in Berlin da: 42,4 Prozent der Verkehrsschülerinnen und -schüler bestanden 2016 die theoretische Prüfung nicht. Beim Praxistest fielen 33,7 Prozent durch. Berlin ist damit eines der Schlusslichter. Dominic Blume, 38, ist seit zehn Jahren Fahrlehrer in Berlin und leitet eine Fahrschule in Kreuzberg. Er nennt Gründe, warum immer mehr Menschen durchfallen. 

ZEIT ONLINE: Herr Blume, welche Rolle spielt bei der Führerscheinprüfung der Verkehr in der Stadt? 

Dominic Blume: In Berlin und in vielen anderen Ballungszentren wird der Verkehr zunehmend dichter. Wir sitzen in Berlin-Kreuzberg, da kommen noch diverse andere Verkehrsteilnehmer dazu: Radfahrer, Fußgänger. Es gibt Baustellen. Es wird für einen Schüler nicht einfacher, sondern immer komplexer. In ländlichen Regionen dürfte das anders sein. 

ZEIT ONLINE: Sind Ihre Schülerinnen und Schüler vielleicht auch gestresster?

Blume: Fahrschüler haben unglaublich viel nebenbei zu tun. Sie gehen nicht mehr nur noch zur Schule oder studieren, sondern haben ein Hobby, spielen eventuell auch ein Musikinstrument. Es ist gar nicht so einfach, einen Termin für Fahrstunden zu finden. Ältere Kollegen sagen mir: Das war früher anders. 

ZEIT ONLINE: Die Jugendlichen heute verbringen viel Zeit an ihren Smartphones. Hat das Auswirkungen auf das Fahrenlernen?

Blume: Es gab mal eine Schülerin, die zu ihrem Handy griff, während wir auf eine rote Ampel zurollten. Sie schaute aufs Smartphone und wir fuhren dem Vordermann fast hintendrauf. Ich bin dann auf die Bremse gegangen. Ich war wirklich sprachlos und habe ihr gesagt, dass das nicht geht. Das war aber auch das einzige Mal, dass das jemand beim Fahren gemacht hat. Die meisten wissen ja, was sie dürfen und was nicht. Was sie später mal machen, wenn sie den Führerschein haben, ist eine andere Frage. 

ZEIT ONLINE: Haben Sie in der Fahrschule jetzt ein Handyverbot? 

Blume: Nein. Aber vor und nach der Fahrstunde ist das Handy ständig präsent: Die Schüler steigen aus dem Auto aus und das Erste, was sie machen, ist das Handy in die Hand nehmen. Für die Vorbereitung einer Fahrstunde wäre es aber sinnvoll, sich auf dem Weg mental auf die Unterrichtseinheit vorzubereiten und sich, wenn man mit der Fahrstunde fertig ist, gedanklich damit auseinanderzusetzen: Was war in der Fahrstunde? Dass man versucht, das, was kommen wird und was man erlebt hat, auch zu verarbeiten. Ein weiterer Punkt ist die Rolle als Beifahrer. Ich denke, die Jugendlichen sind heutzutage nicht mehr so aktiv Beifahrer wie wir früher. Sie sind mit anderen Sachen beschäftigt, wenn sie bei den Eltern mitfahren, vor allem mit dem Smartphone. 

ZEIT ONLINE: Andere Fahrlehrer führen die erhöhten Durchfallquoten auch auf mehr nicht deutschsprachige Bewerber zurück. Neben Sprachproblemen hätten die mit einer anderen Verkehrskultur zu kämpfen. Beobachten Sie das auch? 

Blume: Das ist bedingt so. Ich merke es bei Umschreibern, also bei jenen, die einen ausländischen Führerschein haben und jetzt den europäischen haben wollen. Sie müssen in der Regel eine theoretische und eine praktische Prüfung ablegen. Bei der praktischen Prüfung merken viele dann: Das muss sehr korrekt und genau gemacht werden. Manche fallen trotzdem in alte Muster ihrer Verkehrskultur zurück und denken: Die zehn Stundenkilometer zu viel sind doch nicht so schlimm. Das kommt aber auch bei deutschen Fahrschülern vor. 

ZEIT ONLINE: Lassen Sie uns noch mit einem Klischee aufräumen: Können Frauen schlechter einparken als Männer? 

Blume: Nein, überhaupt nicht. Frauen können genauso gut einparken wie Männer oder Männer genauso gut wie Frauen. Man kann sogar sagen, dass Frauen die etwas vernünftigeren Autofahrerinnen sind. 95 Prozent derjenigen, die bei uns Auffrischungsstunden nehmen, sind Frauen. Die kommen meist aus keiner Großstadt und wollen sich erst einmal an den Verkehr in Berlin gewöhnen.

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