Dienstag, 12. September 2023

Akademikerschwemme, mehr Niedriggebildete – und die bedenkliche Lücke dazwischen

Deutschland ist OECD-weit fast das einzige Land, in dem die Zahl der jungen Menschen ohne höheren Schul- oder Berufsabschluss in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Gleichzeitig aber steigt die Zahl der Akademiker. Den klassischen Ausbildungsweg beschreiten hingegen immer weniger junge Leute – obwohl Deutschland mit der dualen Berufsausbildung nach wie vor einen großen Standortvorteil hat. Das sind einige der zentralen Befunde der Studie „Bildung auf einen Blick 2023“, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) am Dienstag vorgestellt hat. 
Demnach sind Deutschland und Tschechien die einzigen der 41 untersuchten OECD-Staaten, in denen der Anteil der jungen Erwachsenen zwischen 25 und 34 Jahren ohne Abitur oder Berufsabschluss seit 2015 gestiegen ist – von 13 auf 16 Prozent hierzulande. Damit übersteige die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Formalqualifikationen den OECD-Schnitt um zwei Prozent, heißt es in der Studie. Auf der anderen Seite aber stieg der Anteil der jungen Menschen mit Hochschulabschluss im gleichen Zeitraum von 30 auf 37 Prozent an – ein Trend, der sich in der ganzen OECD beobachten lässt. 
Die steigenden Anteile junger Menschen mit entweder sehr geringen oder sehr hohen Bildungsabschlüssen führe zu einer wachsenden Polarisierung der Bildungslandschaft – und einem gleichzeitigen Rückgang von jungen Erwachsenen mit mittlerem Qualifikationslevel, so die Studienautoren weiter. Der Anteil junger Menschen mit beruflicher Ausbildung sank seit 2015 von 51 auf 38 Prozent. Das ist mit Abstand der stärkste Abschwung aller OECD-Staaten. Und das, obwohl die in Deutschland übliche duale Berufsausbildung aus Berufsschule und Arbeit im Betrieb nach wie vor ein Erfolgsmodell ist. 89 Prozent aller Berufsschüler sind zugleich in einem Ausbildungsbetrieb tätig, deutlich mehr als im OECD-Schnitt. Wie effektiv die duale Ausbildung ist, zeige sich an den sehr hohen Beschäftigungsraten der jungen Menschen in den ersten zwei Jahren nach Abschluss der Ausbildung: 94 Prozent der erfolgreichen Absolventen haben anschließend auch einen Job – nur in Island ist diese Quote noch höher. 
Das zahlt sich auch aus: Mit abgeschlossener Ausbildung verdienen junge Menschen zwischen 25 und 34 Jahren in Deutschland 67 Prozent mehr als ihre Altersgenossen ohne formale Berufsausbildung. OECD-weit beträgt das Gehaltsplus nur 23 Prozent. Im Verlauf des weiteren Berufslebens relativiert sich die Gehaltsdifferenz allerdings stark – ein Hinweis darauf, wie wichtig die berufliche Weiterbildung für ältere Arbeitnehmer ist. 

Deutschland investiert relativ wenig im OECD-Vergleich
Ein gemischtes Bild ergibt sich für Deutschland hinsichtlich der Bildungsausgaben pro Kopf und Jahr. Von der Grundschule bis zur Universität gibt der Staat pro Kopf 14.677 Euro aus – 2885 Euro mehr als im OECD-Schnitt. Für die berufliche Bildung sind es sogar 18.977 Euro. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt investiert Deutschland allerdings mit insgesamt 4,6 Prozent weniger in Bildung als im OECD-Schnitt (5,1 Prozent). Auf den Bereich der Sekundarstufe II, also die gymnasiale Oberstufe und die berufsbildende Ausbildung, entfällt knapp ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes. 
Als besonderes Problem identifiziert der Report die hohe Rate an jungen Menschen, die weder in Schule noch in Ausbildung oder Anstellung sind, die sogenannten NEETs („Not in education, employment or training“). Ihr Anteil an den 18- bis 24-Jährigen beträgt OECD-weit 14,7 Prozent – in Deutschland sind es immerhin 8,6 Prozent. „Die Senkung der NEET-Quoten unter jungen Erwachsenen stellt in allen Ländern eine besonders große Herausforderung dar“, heißt es dazu im Report. Die Betroffenen hätten später im Leben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als ihre Altersgenossen, die in dieser Lebensphase noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren. „Der Zugang zu hochwertiger allgemeinbildender oder auch beruflicher Bildung trägt dazu bei, das Versprechen leistungsorientierter sozialer Mobilität und der Chancengleichheit in demokratischen Ländern einzulösen“, sagt OECD-Generalsekretär Mathias Cormann. „Wir müssen sicherstellen, dass junge Menschen in allen Ländern der Welt die passenden Möglichkeiten erhalten, an Wirtschaftsentwicklung und -wachstum teilzuhaben und davon zu profitieren.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen