Das Mathe-Abitur in Berlin war zu schwer, heißt es auf der Petitions-Plattform Change.org mit einem Ausrufezeichen dahinter. Jenes in Hamburg auch, erfährt man beim Weiterblättern, in Bayern und Baden-Württemberg ebenfalls, in Hessen und Sachsen gleichermaßen. Zählt man durch, erweist sich: Zu jedem Bundesland gibt es auf der Plattform eine Mathe-Petition, allesamt ähneln sich auffällig in der Benennung des Problems („Aufgaben zu komplex“), nur in der Dramatisierung wird variiert.
In Bayern habe „blankes Entsetzen“ geherrscht“, in Mecklenburg-Vorpommern sei es „ein absoluter Schlag ins Gesicht“ gewesen. Gefordert wird gleichlautend „Notenanpassung“ und „Hochstufung“.
Verwunderlich ist diese Schablonenhaftigkeit nicht, denn alle Petitionen wurden von derselben Person (oder derselben KI?) eingereicht, und zwar am 31. März und dem 1. April, also für viele Bundesländer weit vor dem Datum der schriftlichen Prüfungen – in Rheinland-Pfalz, das besonders früh dran ist, deutlich zu spät. Kurzum: Aus der Existenz dieser von irgendwem kettengenerierten Petitionen lässt sich rein nichts über das Mathe-Abitur 2025 ableiten. Kann wenigstens die Anzahl der Unterschriften einen Hinweis geben?
Die meisten liegen im dreistelligen Bereich, einige im niedrig vierstelligen, nur für das kleine Saarland werden mehr als 18.000 Unterschriften gezählt. Das ist sonderbar, denn dort machen jährlich nur etwa 3000 Schüler die allgemeine Hochschulreife.
Das „N-Wort“ ohne Vorwarnung
Ein Verdacht kommt auf. Wenn bei derart großem Aufwand so wenig Valides herauskommt: War das Mathe-Abi 2025 vielleicht sogar zu leicht? Gut weg kommen bei den Petitionen auch andere Fächer nicht. So wird auf Change.org die „Anpassung der Bewertung des Thüringer Englisch-Abitur [sic!] 2025“ gefordert. In der Prüfung sei der Begriff „Gentrifizierung“ zentral gewesen, komme aber nicht im Lehrplan vor. Daher: Zusatzpunkte! Knapp 500 „verifizierte Unterschriften“ werden gezählt, „Kathrin, Berlin“ lädt in einem Kommentar dazu ein, diesen Aufruf auch auf „petitionpromotion.com“ einzustellen, für mehr „Outreach“.
Auf besagter Website findet man nicht den Thüringer Aufruf, dafür aber eine Petition aus Nordrhein-Westfalen, in der exakt dieselbe Problemlage, zum Teil wortgleich geschildert wird. Ist das noch Copy and Paste oder schon ChatGPT? Ergänzt wird noch, dass in einem Vorlagetext „das rassistische N-Wort . . . ohne Vorwarnung“ vorgekommen sei. 12.000 Unterschriften sprangen dabei heraus, was Spiegel-Online eine Nachfrage beim nordrhein-westfälischen Schulministerium wert war, das sich tapfer verteidigt.
Das „N-Wort“ werde von der schwarzen Autorin des Vorlagetextes gezielt und in Anführungszeichen verwendet, sein Weglassen hätte die Intention verfälscht.
Welcher Erkenntnisgewinn bleibt nun von dieser petitionsmedialen Aufbereitung des Abiturs 2025? Eigentlich keiner, außer dem, dass die Petitionsschwemme inzwischen so unvermeidbar zur Folklore zu gehören scheint wie der Abi-Gag. Der Nachweis einer tatsächlichen Schieflage wird künftig leichter untergehen.
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