Mittwoch, 26. Oktober 2016

Der langsame Abschied vom Turbo-Abi

DÜSSELDORF. Nordrhein-Westfalen verabschiedet sich langsam vom achtjährigen Gymnasium (G8). Bei einem Runden Tisch zum Turbo-Abitur waren sich gestern die meisten Teilnehmer einig, dass die umstrittene Schulzeitverkürzung korrigiert werden müsse. Elternvertreter dringen auf eine Entscheidung für das neunjährige Gymnasium noch vor der Landtagswahl. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hält dies aber für unrealistisch. Über G8 und G9 müsse eine neue Landesregierung entscheiden. "Das muss gründlich vorbereitet sein. Es darf keinen Schnellschuss geben", sagte Löhrmann nach dem Treffen. Frühestens zum Schuljahr 2018/19 könnten die Veränderungen beginnen.
Mehrere Teilnehmer berichteten von einem weitgehenden Konsens am Runden Tisch in zwei entscheidenden Punkten: Erstens soll wieder die einheitliche sechsjährige Mittelstufe eingeführt werden mit einer zweiten Fremdsprache nach der 7. Klasse. Zweitens sollte eine eindeutige "Leitentscheidung" zu den Gymnasien im Land gefällt werden. "Es darf nicht so sein, dass jede Schule oder jede Kommune selbst über G8 oder G9 entscheiden kann", sagte Löhrmann. Eine solche Wahlmöglichkeit hatte die FDP ins Gespräch gebracht. Die CDU liebäugelt damit, hat sich aber noch nicht festgelegt. Die Vorsitzenden der Pädagogenverbände GEW und VBE, Dorothea Schäfer und Udo Beckmann, unterstrichen, dass am Ende die Politik und kein Runder Tisch über die Schulzeit an Gymnasien entscheiden müsse. Und eine solche Entscheidung sei längst überfällig, hieß es von vielen Teilnehmern. Der Runde Tisch mit Vertretern von Schulen, Eltern, Unternehmen, Gewerkschaften und Politik dürfte, wenn überhaupt, erst wieder nach der Landtagswahl 2017 tagen. Die Runde stand gestern ohnehin unter keinem guten Stern. FDP-Chef Christian Lindner nannte den Runden Tisch "Makulatur" und warb für eine Wahlfreiheit der Schulen zwischen G8 und G9. Lindner stellte gleichzeitig klar, dass seine Partei G8 grundsätzlich für richtig halte. Die CDU-Fraktion hatte sogar ihre Teilnahme am Runden Tisch komplett abgesagt. Unions-Fraktionsvize Klaus Kaiser kritisierte, dass SPD und Grüne unterschiedliche Ideen zur Weiterentwicklung von G8 in der Schublade haben. "Der Runde Tisch ist kein Forum zur Schlichtung zwischen uneinigen, konzeptionslosen Regierungspartnern", wetterte Kaiser. Seine Partei werde den Dialog mit Eltern, Lehrern und Schülern anderswo fortsetzen. Für die Piraten, die die Rückkehr zu G9 fordern, ist der Runde Tisch schlicht "überflüssig". Die Bürgerinitiative familiengerechte Schule und Bildung ("G-ib-8") forderte ein Bekenntnis zum neunjährigen Gymnasium. Die NRW-Landespolitik solle gar nicht erst versuchen, "das Rad neu zu erfinden", sondern dem Beispiel Niedersachsens folgen. Dort wurde das Abitur nach 13 Schuljahren wieder eingeführt, die Möglichkeit der Verkürzung auf zwölf Jahre blieb aber erhalten. Die "Elterninitiative G9 jetzt" schickte gar eine "Mahnwache" vors Schulministerium. Ein Standbild von Michael Endes Romanfigur "Momo" sollte den Runden Tisch beeindrucken: Momo hindert die "grauen Herren" daran, die Lebenszeit der Kinder zu "verrauchen". "G9 jetzt" hat kein Vertrauen mehr in den Runden Tisch. Man wolle sich dort nicht "über den Tisch ziehen lassen" sagte Ivonne Kunze von der Elterninitiative. Auch die Landeselternschaft der Gymnasien will nicht über Alternativen zu G9 diskutieren. "Für uns gibt es kein ,G8-Flexi' oder ähnliche unsinnige Modelle", unterstrich Dieter Cohnen.

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