Montag, 15. Juli 2019

Schulministerium schafft „Schreiben nach Gehör“ ab

Düsseldorf - Die Landesregierung schafft die Methode „Schreiben nach Gehör“ in Reinform an den Grundschulen ab. Wie aus einem neuen Leitfaden für Lehrer hervorgeht, sollen Schüler künftig auch im ersten Schuljahr schon zum richtigen Schreiben angehalten werden. Im Vorwort des insgesamt 70-seitigen Papiers des Schulministeriums heißt es: „Dies gilt auch für die erste Klasse, denn schon Schreibanfängerinnen und Schreibanfänger brauchen Hinweise auf normgerechte Schreibungen und Anregungen, dem System unserer Orthografie auf die Spur zu kommen, damit sie nicht denken, dass man ‚schreibt wie man spricht“.
Zudem soll es künftig einen verbindlichen Grundwortschatz von 533 Wörtern geben, den jedes Kind nach der vierten Klasse beherrschen muss. Mithilfe der Methode „Schreiben nach Gehör“, auch „Lesen durch Schreiben“ genannt, lernen Grundschüler seit den 1980er Jahren lesen und schreiben. Demzufolge sollten Kinder durch das freie Aufschreiben von Wörtern zum Lesen kommen und anfangs möglichst nicht korrigiert werden. Seit einigen Jahren wächst die Kritik daran, weil die Rechtschreib-Kenntnisse Studien zufolge auch bei älteren Schülern zu wünschen übrig lassen. Dabei zeigte sich, dass Kinder, die mit einer Lesefibel lernten, signifikant besser abschnitten.
Mit der jetzt veröffentlichten Handreichung für Lehrer, die von Wissenschaftlern der Universitäten Hamburg und Hannover erarbeitet wurde, will NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gegensteuern. „Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2016 zeigen für NRW im Bereich Rechtschreibung einen deutlichen Handlungsbedarf“, schreibt die Ministerin im Vorwort. Alle Schulen, auch die weiterführenden, seien gefordert, ein besonderes Augenmerk auf diesen inhaltlichen Bereich des Deutschunterrichts zu legen. Richtig schreiben zu können gelte als wesentlicher Indikator für den Bildungsstand und entscheide so auch über den weiteren Berufs- und Bildungsweg mit. Auch künftig sollen aber die für „Schreiben nach Gehör“ typischen Anlauttabellen im Unterricht eingesetzt werden. Sie sollen dem Leitfaden zufolge nicht mehr dem Rechtschreiblernen im engeren Sinne dienen, aber noch ein Hilfsmittel sein, vor allem am Anfang. Neu ist die Einführung eines verbindlichen Rechtschreibwortschatzes. Dazu heißt es: „Der Rechtschreibwortschatz ist als Modellwortschatz zu verwenden, an dem man richtig schreiben lernt“. Er setzt sich zusammen aus einem vorgegebenen gemeinsamen Grundwortschatz von 533 Wörtern und einem individuellen Wortschatz von 200 bis 300 Wörtern, die sich aus Kindertexten oder Unterrichtsthemen ergeben. Im Grundwortschatz enthalten sind auch 111 häufig gebrauchte Merkwörter, die für Grundschulkinder nicht herzuleiten sind wie etwa „heraus“, „wieder“ oder „bisschen“. Durch den definierten Wortschatz sollen die Schüler unter anderem grundlegende Einsichten in die Struktur unserer Orthografie gewinnen, häufig falsch geschriebene Wörter üben und Rechtschreibsicherheit erlangen. 
Der Lernstand der Schüler soll kontinuierlich bereits ab Mitte der Klasse 1 halbjährlich mithilfe eines Rechtschreibtests, der sogenannten Hamburger Schreibprobe (HSP), getestet werden. So sei auch ein Vergleich mit anderen Klassen möglich. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte die Handreichung für die Lehrer als gute Anleitung für die Unterrichtspraxis und als einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte über die Methode „Schreiben nach Gehör“, die ohnehin nur selten in Reinform angewandt worden sei. Es sei gut, dass der Rechtschreibwortschatz auch noch Spielräume offenlasse für Wörter, die Kindern individuell wichtig seien, sagte die Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft, Maike Finnern. Damit die Grundschulen den Leitfaden tatsächlich anwenden könnten, müsse es aber Fortbildungen geben für jene Grundschullehrer, die andere Methoden als „Schreiben nach Gehör“ während ihrer Ausbildung nicht kennengelernt hätten. Noch viel wichtiger sei aber, dass sich die Situation in den Grundschulen angesichts des Lehrermangels grundsätzlich ändere: „Diese Handreichung hilft im inklusiven Unterricht nicht weiter und davon gibt es auch keinen einzigen neuen Lehrer mehr an den Grundschulen“, sagte Finnern.

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