Herzlichen Glückwunsch, liebe Kuschelpädagogen, ihr habt gewonnen. Wobei ihr das Verb vermutlich ablehnt. Wenn jemand gewinnt, muss schließlich auch jemand verlieren, und das darf nicht sein. Hauptsache, niemand heult. Hauptsache, Urkunden für alle!
Die Bundesjugendspiele in der Grundschule sind ab dem kommenden Schuljahr kein Wettkampf mehr. Die Punktetabelle für Deutschland wird abgeschafft, so lautet der Beschluss aus dem Familienministerium und der Kultusministerkonferenz von 2021. Wie viele Meter ein Kind beim Weitsprung schafft oder wie schnell es den 30-Meter-Lauf sprintet, soll nur noch Pi mal Daumen, nicht mehr mit dem Maßband oder der Stoppuhr erfasst werden. Statt sich mit Kindern in allen Bundesländern zu messen, geht es künftig um den relativen Vergleich mit den Mitschülern.
Anders gesagt: Das schnellste Kind in einer Klasse voller Unsportlicher soll sich als Gepard fühlen und nicht als das, was es ist: eine Schildkröte unter Schnecken.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn Deutschland nicht ohnehin unter Leistungsallergie leiden würde. Bloß nicht zu doll anstrengen – sonst droht der Streberstempel. Exzellenz und Elite gelten als verdächtig. Deswegen geht es bei den Bundesjugendspielen also künftig nicht mehr um Leistung, sondern um Bewegung. Um "Freude". Klassische deutsche Fehlannahme: dass Leistung und Freude ein Widerspruch sind.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Niemand trauert schwarzer Pädagogik nach. Und zugegeben, Kindern wird zum Ende der Grundschule völlig unnötig Druck aufgebürdet. Nur hat das mit den Bundesjugendspielen nichts zu tun.
Dort kann, wenn der Sportlehrer kein pädagogischer Analphabet ist, Ehrgeiz geweckt, Spaß am Gewinnen entwickelt – und würdevolles Verlieren erprobt werden. Und wer über einen Fehlstart oder wegen sportlich begabterer Mitschüler mal weint, muss deshalb nicht gleich in Therapie. Nicht jede Träne birgt ein Trauma.
Übrigens: Ob sich die Schülerinnen und Schüler über das Ende des Wettkampfprinzips freuen, weiß man nicht, denn sie hat niemand gefragt.
Zumal, auch das ein erbärmliches Signal der Reform, die Bundesjugendspiele seit gut 70 Jahren eine demokratische Funktion erfüllten: die Gelegenheit für Kinder, die schlecht Deutsch sprechen oder mit Dyskalkulie kämpfen, die es nicht aufs Gymnasium schaffen oder mit sonstigem Schulfrust leben, mal die Besten zu sein.
Bei den Bundesjugendspielen kam es nicht auf den Bildungsgrad und den Kontostand der Eltern an, um, sorry, zu gewinnen.
Der kindliche Ehrgeiz wird nun erfolgreich eingehegt. Es ist das chronische Leiden der deutschen Bildungsrepublik: Morbus Mittelmaß.
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