Donnerstag, 26. Oktober 2023

Die Bildungslücke wird größer

Es sind Zahlen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen wollen. Allein in Sachsen sind tausende Lehrstellen unbesetzt, bundesweit sind es mehr 30.000. Gleichzeitig gibt es immer mehr junge Erwachsene, die gar keinen Berufsabschluss haben. Lediglich 38 Prozent der Männer und Frauen zwischen 25 und 34 Jahren konnte im vergangenen Jahr einen solchen Abschluss vorweisen, ergibt die Auswertung der aktuellen OECD-Bildungsstudie. Noch 2015 waren es reichlich 50 Prozent. Welche beruflichen Pläne haben junge Leute heute? 
Mit dieser Frage muss sich die Politik heute mit Blick auf den Fachkräftemangel umso dringlicher beschäftigen. Was die Ziele der eigentlichen Berufseinsteiger angeht, verzeichnen die Statistiker zwei Entwicklungen. Zum einen ziehen viele junge Leute noch immer ein Studium einer Berufsausbildung vor. Dieser Trend hat sich zwar zuletzt etwas verlangsamt, ist aber immer noch spürbar. Wollten 2015 noch 30 Prozent der befragten Altersgruppe einen akademischen Abschluss erreichen, stieg der Wert im vergangenen Jahr um reichlich sieben Prozentpunkte an. Gleichzeitig gibt es immer mehr Jugendliche, die aller Möglichkeiten zum Trotz gar keine Vorstellung von einer beruflichen Laufbahn haben. Vor allem sie haben – und sind – ein Problem. Denn ohne Abschluss stehen die Chancen auf einen guten und ordentlich bezahlten Job schlecht. 
Dagegen ergab die OECD-Studie auch, dass 94 Prozent der Menschen mit Berufsausbildung innerhalb von zwei Jahren einen festen Arbeitsplatz finden. Das ist der höchste Wert aller 38 Länder im OECD-Vergleich. Das Problem: Offenbar erreicht das hiesige Bildungssystem heute weniger Menschen als noch vor einigen Jahren. Der Nachwuchs fühlt sich abgehängt, bevor er überhaupt durchgestartet ist. In der Auswertung der OECD-Studie wird in diesem Zusammenhang kritisch auf den Umstand hingewiesen, dass Deutschland weniger Geld in die Bildung investiert als viele vergleichbare Staaten.
Ein Problem, das sich aufgrund des Föderalismusprinzips, regional unterschiedlich stark bemerkbar macht. So schneiden sächsische Jugendliche im bundesweiten Leistungsvergleich nach wie vor gut ab. Der IQB-Bildungstrend 2022, der im Auftrag der Kultusministerkonferenz vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen erstellt wird, attestierte den Neuntklässlern zwischen Neiße und Pleiße jetzt sogar einen der besten Plätze im Ländervergleich. Doch auch diese Untersuchung bestätigte, dass das Leistungsniveau sinkt, in Sachsen aber weniger stark als in anderen Regionen. Wo schon Kinder dem Unterricht nicht mehr folgen können, wo Stundenausfall nicht Ausnahme, sondern Regel ist, wo Nachwuchs auch bei den Lehrern fehlt – da haben Schulabgänger immer öfter keinen Plan für die eigene Zukunft. Und wenn grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten fehlen, nützen am Ende auch tausende freie Lehrstellen nicht viel. Schon jetzt beklagen viele Unternehmen, dass potenzielle Lehrlinge schnell das Handtuch werfen. Mehr als jeder vierte Azubi bricht seine Lehre vorzeitig ab. Laut dem Berufsbildungsbericht 2023, der auf Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) beruht, betrug die Abbrecherquote zuletzt genau 26,7 Prozent. 
Die Entwicklung erzeugt reichlich Frust bei allen Beteiligten, bei Jugendlichen, die einen weiteren Misserfolg erleben, und bei Unternehmen, die einmal mehr vergeblich Nachwuchs gesucht haben. Das Problem, das zeigen die jüngsten Auswertungen zum Leistungsniveau, wird größer. Die im neuen Weiterbildungsgesetz verankerte Ausbildungsgarantie nützt wenig, wenn sich junge Leute erst gar nicht um eine Lehrstelle bewerben oder schon nach wenigen Wochen aufgeben. Der Bund will nun mit einem speziellen Förderprogramm für sogenannte Brennpunktschulen gegensteuern. Eine Milliarde Euro soll jedes Jahr investiert werden, um möglichst auch die Kinder und Jugendlichen zu erreichen, die dem Schulsystem hierzulande derzeit schon früh verloren gehen.

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