Sonntag, 21. April 2024

Deutschland hat mehr Akademiker, aber auch einen Höchststand an jungen Menschen ohne Berufsabschluss

Das Handwerk sucht händeringend Nachwuchs. Auf dem Bau und in der Gastronomie bleiben viele Lehrstellen unbesetzt. Der Fachkräftemangel in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen und wird zu einer entscheidenden Wachstumsbremse. Doch gleichzeitig nimmt seit dem Jahr 2015 die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss stetig zu. Im vergangenen Jahr lag sie auf einem Rekordhoch. Damit ist ein wachsender Teil junger Menschen abgehängt – ohne berufliche oder akademische Ausbildung. Deutschland nimmt bei dieser Negativentwicklung unter der OECD-Ländern eine Schlussposition ein. Dieser Trend ist sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die Gesellschaft hochproblematisch. Während die Arbeitslosenquote insgesamt im vergangenen Jahr bei rund 5,7 Prozent lag, waren es bei den Ungelernten fast 20 Prozent. Schon jetzt haben rund 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Ausbildung. Etwa die Hälfte von ihnen sind Migranten. 
Das durch die ungesteuerte Asylzuwanderung völlig überforderte Schulsystem produziert immer mehr Bildungsverlierer. Damit ist oftmals auch der Berufsweg vorgezeichnet. Ungelernte landen in Helferjobs, verdienen wenig, brauchen staatliche Unterstützung oder landen ganz im Sozialhilfesystem. Internationale Organisationen wie die OECD kritisieren schon seit Jahren, dass in Deutschland zu wenig unternommen werde, um die Zahl der jungen Menschen ohne Qualifikation zu senken. 
Außerdem zeigt sich, dass sich die Schere in Deutschland zwischen Topausgebildeten und jungen Erwachsenen ohne jegliche formale Qualifikation immer weiter öffnet. Das Bildungssystem schaffte es zwar, mehr junge Menschen zum Abitur und dann an die Universität zu bringen. Gleichzeitig waren in der Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen rund 19 Prozent (etwa 2,86 Millionen) ohne berufliche Ausbildung, wie es im Entwurf des aktuellen Berufsbildungsberichts heißt. 
Zur Wahrheit gehört auch: Die Kluft zwischen jungen deutschen Erwachsenen und gleichaltrigen Migranten wird grösser. Das liegt vor allem an der ungebremsten Einwanderung und dem sehr viel geringeren Qualifikationsniveau von Zugewanderten im Vergleich zur Bevölkerung in Deutschland. 11,7 Prozent der Deutschen hatten 2021 laut Berufsbildungsbericht keinen Berufsabschluss, bei ausländischen Gleichaltrigen waren es mehr als dreimal so viele (37,4 Prozent). Bei jungen Menschen mit türkischem Pass war die Quote noch höher (41,6 Prozent). Ein großer Teil von Zugewanderten gilt aber auch als nicht ausbildungsfähig, weil ihnen die Deutschkenntnisse fehlen. Hier braucht es laut Experten mehr passgenaue Angebote. 

Andere Länder schaffen bessere Integration von Migranten
Gewerkschaften beklagen regelmäßig, dass der Bildungserfolg in Deutschland immer noch vom Geldbeutel der Eltern abhänge und Migranten im Schulsystem benachteiligt, wenn nicht gar diskriminiert seien. Doch diese Erklärung ist zu einfach. In anderen Ländern mit hoher Zuwanderung wie Frankreich oder Schweden haben Migranten bessere Bildungsabschlüsse. In Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien erlangen Migrantenkinder durch kluge Integration sogar bessere Schulabschlüsse als die einheimischen Schüler. «Die Statistik macht deutlich, dass es da ein großes Problem gibt», sagt die Bildungsexpertin Birgit Ziegler von der Technischen Universität Darmstadt. Deutschland sei nicht in der Lage, benachteiligte Jugendliche gut in das Bildungssystem zu integrieren. Andere OECD-Länder schafften eine frühere und bessere Integration ins Bildungssystem und bei beruflichen Ausbildungen. Ziegler schlägt vor, jugendliche Migranten schon während der Asylverfahren in eine Berufsausbildung oder Jobs zu bringen. Denn die Sprach- und Integrationskurse dauerten zum Teil viel zu lange. Für den Einstieg sei es sinnvoll, Sprachkenntnisse berufsbezogen zu vermitteln, sagt Ziegler, die auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Kultusministerkonferenz (KMK) ist. 

Ein Drittel der Lehrlinge bricht Ausbildung ab 
Das deutsche duale Ausbildungssystem wird weltweit geschätzt. Die enge Verknüpfung von schulischer Theorie und Praxis in einem Betrieb gilt als Garant für Qualität. Aber das System ist auch starr und wenig flexibel. Zu oft passen Bewerber und Lehrstellen nicht zusammen. Experten sehen auch das als Grund für die steigende Abbruchquote bei Ausbildungen, die inzwischen bei rund 30 Prozent liegt. Dabei gibt es je nach Branche große Unterschiede: Viele Auszubildende brechen in der Gastronomie oder im Friseurhandwerk ab, in kaufmännischen Berufen passiert das seltener. Nur ein Teil der Ausbildungsabbrecher wagt einen Neuanfang, macht einen höheren Schulabschluss oder entscheidet sich für ein Studium. Das Risiko ist groß, dass viele junge Menschen als Ungelernte auf dem Arbeitsmarkt landen. 
Bildungsexperten plädieren auch deshalb für mehr Berufsorientierung in den Schulen und praktische Einblicke in die Arbeitswelt. «Deutschland ist unter den Ländern, in denen die Jugendlichen die größte Unsicherheit bei ihren Berufsplänen haben», sagt die Bildungsexpertin Ziegler mit Verweis auf die Pisa-Studie. Immerhin gibt es in Deutschland rund 320 Ausbildungsberufe und mehr als 21 000 Studiengänge. Es gebe viele Programme zu Berufsorientierung, aber diese seien schlecht koordiniert und nicht aufeinander abgestimmt, sagt Ziegler. «Ich habe den Eindruck, viele Jugendliche werden nicht erreicht. Das betrifft vor allem die Jugendlichen, die es am nötigsten hätten.» 
Rund 70 Prozent der Lehrstellen werden in Deutschland immer noch von kleinen und mittleren Betrieben angeboten. «Da diese Betriebe stärker wirtschaftlichen Schwankungen unterliegen als größere Unternehmen, ist vor allem das duale Ausbildungssystem stark an die Arbeitsmarktsituation gekoppelt», sagt Victoria Herrmann-Feichtenbeiner vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Außerdem gebe es in Deutschland immer noch eine starke Verknüpfung der Arbeitsmarktintegration mit Zertifikaten und formaler Qualifizierung. Damit würden auch viele Berufsabschlüsse von Migranten nicht anerkannt. In anderen Ländern wird dagegen Berufserfahrung stärker bewertet. 
Es gibt viele Initiativen von Betrieben, das Ausbildungssystem attraktiver und zeitgemäßer zu machen: mehr Flexibilität, einen Zuschuss für den Führerschein, Weiterbildung, enge Begleitung der Auszubildenden. Auch die Ausbildungsvergütung gehört dazu. Durchschnittlich bekommen Lehrlinge etwas mehr als 1000 Euro brutto im Monat, je nach Branche aber auch erheblich weniger. Am unteren Ende liegen Friseure, Floristen oder Bäcker. Davon lässt sich ein WG-Zimmer bezahlen, für viel mehr reicht es aber nicht. Auch das ist laut Experten ein Grund für die hohe Abbruchquote. Die Gewerkschaften und viele Arbeitsmarktforscher fordern deshalb einen deutlichen Anstieg des Mindestlohns für Auszubildende.

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