Belastende Inhalte in Social Media, (Online-)Mobbing, psychologische Auffälligkeiten bei Schülerinnen und Schülern - angesichts dieser Herausforderungen erhob Bildungsforscher Olaf Köller am Mittwochabend bei "Markus Lanz" einen Ruf nach "Schule als Erziehungsort":
"Im Unterricht muss Schule bilden und den ganzen Tag muss sie erziehen. Das steht jetzt stärker an als je zuvor.", so Köller.
Schule sei auch dazu da, zu Dingen zu motivieren, die keinen Spaß machen. Doch dieser Anspruch an Bildung sei verloren gegangen. Köller erklärte: "Wenn wir höhere Löhne bei weniger Arbeit fordern, damit die Leute sich die Freizeit finanzieren können und nicht etwa mehr Anstrengung honoriert wird, dann ist das ein gesellschaftliches Phänomen, was wir eben auch in Schulen beobachten."
Köller: Absenkung des Anspruchsniveaus
Anstrengung scheine nicht mehr belohnt zu werden: "Die Latte legen wir viel zu tief, dass man nicht mehr drunter durchlaufen kann. (...) Die Schülerinnen und Schüler erleben, dass sie mit weniger durchkommen." Daher müsse man sich nicht wundern, wenn die Motivation in den Klassenräumen niedriger sei. 2009 hätten deutsche Gymnasiasten - gegenüber der PISA-Studie 2022 - einen Leistungsvorsprung von "ungefähr anderthalb Schuljahren" gezeigt. Köller verglich: "Wofür ein Gymnasiast 2009 eine Vier bekommen hat, bekommt er heute eine Zwei. Das kann nur mit Absenkung des Anspruchsniveaus zu tun haben."
Die Analyse des Bildungsforschers fiel vernichtend aus: "Wir haben heute die Situation, dass drei von zehn Schülerinnen und Schülern, wenn sie 15 sind, eigentlich nicht lesen, schreiben und rechnen können."
Demnach könnten 30 Prozent der Jugendlichen den Sinn eines Textes nicht verstehen, nicht flüssig schreiben und seien als 15-Jährige in ihren Rechenleistungen nicht "über Grundschülerinnen und Grundschüler hinaus gekommen".
Schon 2012 sei klar gewesen, dass der Anteil der Schüler zunehmen werde, "die aus sogenannten bildungsfernen Familien kommen, wo die Unterstützung durch die Eltern nicht so gegeben ist". Köller sagte: "Wir haben seit zehn Jahren versäumt, uns wirklich um die zu kümmern, die immer mehr werden und die es besonders schwer im System haben."
Er appellierte: "Die Kunst ist, sehr stark aus den Augen der Kinder zu unterrichten und nicht aus den Augen der Lehrkräfte, der Erwachsenen."
Müller: Schule bildet Gesellschaft nicht mehr ab
"Schule ist eine Blase, die Gesellschaft an sich nicht mehr abbildet", pflichtete Schulleiterin Silke Müller bei. 16- bis 18-Jährige verbringen durchschnittlich 71,5 Stunden pro Woche online, so das Ergebnis der Postbank Jugend-Digitalstudie 2024.
In dieser Zeit würden Kinder und Jugendliche Lebenserfahrungen verpassen, bedauerte Steffen Sibler. Der Schulleiter der Otto-Wels-Grundschule in Berlin-Kreuzberg stellte bei seinen Schülern fest: "Die waren noch nie in einem Park, der zwei U-Bahn-Stationen entfernt ist. Die waren noch nie im Zoo. Die waren noch nie auf dem Fernsehturm (...), verstehen gar nicht diese Vogelperspektive."
Angesichts dessen kritisierte Müller: "Die Fort- und Weiterbildung, die Lehramtsausbildung an sich, reagiert nicht auf diese veränderte Jugend, auf die veränderte Kindheit."
Gymnasiallehrer Bob Blume plädierte dafür, dass sich Lehrkräfte für zwei Wochen bei TikTok anmelden, um die Lebenswelten der Schüler wirklich zu verstehen: "Dann muss man sowohl merken, wie dieser ungeheure Algorithmus einen reinzieht, aber man kann auch (...) bemerken, dass man plötzlich Inhalte bekommt, die durchaus nicht nur unterhaltsam, sondern auch sehr informativ sind."
Mit Blick auf die Herausforderungen der Bildungspolitik forderte Müller: "Diesem Abschlussjahrgang '25, '26, '27 werden wir keinen Gefallen mehr tun mit veränderter Bildung, aber es braucht dann einen Langzeitplan."
Köller warb für Investitionen ins Bildungswesen: "Jeder Euro, den wir früh einsetzen, (...) bringt individuellen Wohlstand und gesellschaftlichen Wohlstand."
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