Dienstag, 13. Februar 2024

„Das Schulsystem produziert ganz früh strukturelle Versager“

Deutschland steckt im Bildungsdesaster: Zehntausende Lehrerinnen und Lehrer fehlen, mehr als 2,5 Millionen junge Menschen haben keinen Berufsabschluss und im Pisa-Test schnitten Deutschlands Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie nie zuvor. 
Nun setzen neue Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat noch einen drauf: Deutschland verzeichnet für das Jahr 2022 mit mehr als zwölf Prozent die vierthöchste Schulabbrecherquote in der Europäischen Union. Die EU-weit durchschnittliche Schulabbrecherquote hat sich von 2018 bis 2022 von 10,5 auf 9,6 Prozent verbessert. 2018 stand Deutschland dabei mit 10,3 Prozent noch besser da als der EU-Durchschnitt. Damit liegt Deutschland mit einer Schulabbrecherquote von 12,2 Prozent hinter Rumänien, wo die Abbruchquote mit 15,6 Prozent am höchsten ist, Spanien (13,9 Prozent) und Ungarn (12,4 Prozent). 
"Wir haben ein sehr förmliches Schulsystem, in welchem am Ende jedes Schuljahres registriert wird, wo ein Schüler steht“, sagt Klaus Hurrelmann, Bildungsforscher an der Hertie School Berlin, „das führt dazu, dass wir eine hohe Sitzenbleiber-Quote haben“. So würden Schulen homogene Lerngruppen bestreben, „damit werden aber nur wenige gezielt gefördert, während viele Schülerinnen und Schüler den Anschluss verlieren“. Das gleiche passiere bei dem Übergang in die weiterführenden Schulen. Schwache Schülerinnen und Schüler würden weiterhin in schlechte Schulen gedrängt werden. Die homogenen Gruppen führen dazu, dass besonders lernstarke und lernschwache Schülerinnen und Schüler ohne geeignete Impulse zurückbleiben. „Die Starken kommen immer durch, aber die Schwachen können sich nicht selbst helfen“, so Hurrelmann. „Viele dieser Kinder kommen aus benachteiligten Vierteln und Elternhäusern, die keinen guten Bildungshintergrund vorweisen, die vielleicht Sprachprobleme haben“, sagt der Bildungsforscher. Damit spiele auch Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund eine große Rolle, wenn die Sprache nicht früh beherrscht wird. „So produziert unser System ganz früh strukturelle Versager, weil eben ein Teil der Schülerinnen und Schüler nicht angesprochen werden“. 
Dieser Effekt konnte vor allem während der Corona-Pandemie beobachtet werden. So seien Schülerinnen und Schüler aus starken, gut situierten Elternhäusern problemlos zurechtgekommen, hätten an Selbstständigkeit gewinnen und mit Unterstützung der Eltern mehr lernen können, seien digital kompetenter geworden und hätten so ihre Leistungen gesteigert. Die Verlierer waren diejenigen, die schon vorher Probleme in der Schule hatten. „Die sind schulisch abgestürzt“, sagt Hurrelmann, „in Anbetracht der Pandemie wundert es mich, dass der Wert sich um 0,3 Prozentpunkte verbessert hat“. 
Kann sich die Gesellschaft das im Hinblick auf den Fachkräftemangel leisten? „Wer einmal einen Basisschulabschluss verpasst hat, hat eine ganz schlechte Startposition und gehört später zu denen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für Arbeitslosigkeit haben“, sagt Hurrelmann. Dieses System produziere Menschen, die nicht in der Lage sind, die heutigen Berufsanforderungen zu erfüllen. „Das hat direkte wirtschaftliche Folgen und wird den Arbeitsmarkt noch enger machen“.

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