Donnerstag, 1. Februar 2024

Finnland - vom PISA-Sieger zum Problemfall

Im Interview mit KONTRAFUNK spricht die Schriftstellerin und Mutter Bile Ratut über die aktuellen Herausforderungen im finnischen Bildungssystem. Trotz des früheren Rufs als "Bildungswunder" zeigen die Pisa-Studien, dass die schulischen Leistungen in Finnland seit Jahren sinken. Ratut berichtet, dass ihre Kinder keine richtigen Zeugnisse mehr erhalten und die Schule stark auf Digitalisierung setzt, während die Qualitätskontrollen abgeschafft wurden.

KURZZUSAMMENFASSUNG:

Chaos im Bildungssystem

Ratut kritisiert die mangelnde Struktur im Unterricht und das Fehlen klarer Leistungsanforderungen. Sie beschreibt, dass die Kinder nicht dazu angehalten werden, ordentlich oder diszipliniert zu arbeiten. Stattdessen wird ein Konzept des "Lernens ohne viel Anleitung" propagiert, das in der Praxis jedoch nicht zu funktionieren scheint.

Lehrer als Autorität

Ratut hebt hervor, dass die Rolle des Lehrers in Finnland herabgestuft wurde. Lehrer werden duzend angesprochen, was ihrer Meinung nach die Autorität der Lehrkräfte untergräbt und zu einem unruhigen Klassenraum führt.

Ideologisierung der Bildung

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Überhandnahme ideologischer Inhalte im Unterricht, die oft zugunsten von Faktenwissen vernachlässigt werden. Ratut fordert, dass die Schule sich wieder auf die Vermittlung harter Bildungsinhalte konzentriert, anstatt ideologische Ansätze zu propagieren.

HIER das vollständige Gespräch:


KONTRAFUNK: Bildungswunder Finnland: So bezeichnet man lange Zeit das Land hoch im Norden. Aber unter anderem PISA zeigt nun, auch in Finnland hat sich die Situation an den Bildungseinrichtungen dramatisch verschlechtert, allerdings schon seit Jahren. Wie kam es dazu? Das interessiert uns heute im Lehrerzimmer. Bei uns ist Bile Ratut. Sie ist Schriftstellerin und Wirtschaftswissenschaftlerin und vor allem Mutter dreier Kinder. Frau Ratut, es gibt kaum noch Schulbücher in Finnland, viel Digitalisierung und die Qualitätskontrollen wurden abgeschafft. Dafür gibt es Empfehlungen. Zudem gibt es das Prinzip Lernen ohne viel Anleitung durch den Lehrer. Das scheint aber in der Realität nicht sehr gut zu funktionieren. Wie erleben Sie das mit Ihren Kindern?

RATUT: Also in Finnland ist es so, dass meine Kinder inzwischen nicht einmal mehr richtige Zeugnisse bekommen. Es gibt am Jahresende so einen Lappen, würde ich das nennen, also relativ billiges Papier, wo dann viel sogar mit Handschrift festgehalten wird, wie die Kinder in der Schule abgeschnitten haben. Und vieles wird auch mündlich besprochen in einem halbjährlichen Bewertungsgespräch. Aber das ist alles sehr, sehr in Watte gepackt. Also es gibt eigentlich kein Leistungsprinzip mehr in der Schule, dass man von den Kindern auch mal verlangt, wirklich die Zähne zusammenzubeißen und sich in eine Sache hineinzuarbeiten. Oder es wird auch keine Ordentlichkeit verlangt oder keine Disziplin. Also ich habe z.B. gesehen, mein mittlerer Sohn hat mir ein Formular mitgebracht, das die Kinder ausfüllen sollten, und der hatte mir das Blatt eines Klassenkameraden mitgebracht. Die Antworten dieses Klassenkameraden waren so richtig hingerotzt, undeutlich und unleserlich geschrieben. Und die Schule, aus meiner Sicht hier in Finnland, hält die Kinder auch gar nicht mehr dazu an, in irgendeiner Form ordentlich zu arbeiten oder systematisch zu arbeiten oder sich etwas systematisch anzueignen und dabei auch bestimmte Kriterien zu erfüllen. Also es ist alles im Fluss, alles ist offen, die Ziele sind unklar und entsprechend ist natürlich auch das Chaos.

Es hört sich sehr seltsam an: Lernen ohne viel Anleitung. Der Lehrer soll hier das Konzept sein, aber so wie Sie das schildern, ist das eher strukturlos.

Das hängt sicherlich sehr auch an der Persönlichkeit des Lehrers. Das ist ja immer so. Die Bildung ist ja etwas Organisches. Das ist ja nicht einfach ein abstrakter Inhalt, der überall gleich ist. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, Mathematik oder Naturwissenschaften, das ist natürlich erstmal überall gleich. Aber der Erfolg eines Bildungswesens hat sicherlich in erster Linie etwas damit zu tun, welcher Lehrer da vorne steht. Also was ist das für ein Mensch? Ich glaube, das ist ganz entscheidend. Und entsprechend ist das natürlich auch hier so, dass es erfolgreichere Lehrer gibt und Lehrer, die weniger Erfolg haben. Wenn ein Lehrer es versteht, sein Fach gut zu vermitteln, dann hat er natürlich auch eher die Aufmerksamkeit der Schüler und kann es auch besser strukturieren. Aber das finnische System hat natürlich auch den Lehrer herabgestuft. Im Finnischen duzt man den Lehrer ja auch und man spricht ihn mit Vornamen an. Und ich sehe das sehr problematisch, weil man natürlich den Lehrer dann nicht mehr als Autorität ansieht, die über einem steht und Vorbild ist und einem vorangegangen ist, sondern man beraubt den Lehrer eigentlich seiner Position im Klassenraum. Und aus meiner Sicht hat das auch die Folge, dass der Schulalltag wesentlich unruhiger wird. In den Klassenzimmern gibt es z.B. auch Kopfhörer. Der Lehrer meines jüngsten Kindes hat meinem Sohn gesagt, wenn er sich nicht konzentrieren kann, weil die anderen zu unruhig sind, dann soll er sich die Kopfhörer nehmen, damit er dann in Ruhe arbeiten kann. Ich finde das natürlich etwas seltsam, dass man so vorgeht, anstatt dass man die Kinder dahin erzieht, dass sie eben auch alle ruhig arbeiten und keine Unruhe erst entsteht.

Der finnische Bildungshistoriker Jari Seiminen hat in einem Interview gesagt, mit dem Deutschland Schulportal, die Kluft zwischen Rhetorik und Realität ist immer größer geworden in den letzten 20 Jahren. Also er sagt, das werden abstrakte Kompetenzen abgefragt oder vermittelt, anstatt wirklich konkrete Lernziele und mit Beispielen auch den Lehrern zu geben, mit denen sie arbeiten können. Erleben Sie das auch so?

Dem würde ich zustimmen. Also ich habe in letzter Zeit viele Gespräche geführt mit Menschen in der Schule, also Lehrern und den sozialpädagogischen Mitarbeitern dort und Therapeuten und so weiter. Und ich habe immer wieder angemerkt, dass der Schule einfach auch die Inhalte fehlen, die überhaupt vermittelt werden. Ja, dass da so wenig harte Fakten, harte Bildung vermittelt wird. Also Kunstgeschichte, welche Epochen gab es, oder Grammatik oder Mathematik, dass etwas einfach immer wieder geübt und erprobt wird und dass viel zu viel ideologische Inhalte vermittelt werden. Wie z.B. in einem Buch zu Naturwissenschaften steht drin, dass es schwierig ist, gegen den Wind zu laufen und leichter mit dem Wind. Ja, das ist ja etwas, was man natürlich im normalen Leben ganz natürlicherweise mitbekommt, dass das so ist. Dafür muss ich mein Kind doch nicht in die Schule schicken. Das war natürlich jetzt noch nichts Ideologisches, aber ideologisch wird es dort, wenn wir z.B. in dem Bereich Sexualität gehen. Und die Kinder werden ja inzwischen von der Schule aufgeklärt. Und wenn die Sexualität völlig geöffnet ist als Bereich, den man einfach nur noch genießt und der Zusammenhang zur Familiengründung wird völlig außen vorgelassen, dann ist das einfach nur noch Ideologie und gehört aus meiner Sicht auch in der Form nicht an eine Schule.

Mhm, Sie sagen auch, das sei ein System der Gleichschaltung und Selbstbeweihräucherung. Wie kann man sich das vorstellen?

Aus meiner Sicht, wenn die Schule sich darauf konzentrieren würde, einfach Bildungsinhalte zu vermitteln und diese Bildungsinhalte dann auch noch kulturbezogen sind. Also z.B. macht es ja in Finnland keinen Sinn, Kant oder Goethe zu lesen, sondern eher finnische Autoren und finnische Denker, weil man ja hier in Finnland lebt. Und dann kann man in der Randbemerkung auch mal ins Ausland gehen. Also wenn es in der Schule um echte Bildung und echtes Wissen geht, dann ist der Blick natürlich immer nach außen gerichtet. Also ein Kind oder ein Jugendlicher lernt dann, was vor ihm alles schon war und gedacht wurde. Und im Idealfall lernt es dann auch verschiedene Zugänge zu diesem Wissen kennen, dass es also verschiedene alternative Denkformen nebeneinander geben kann. Wenn das aber alles nicht mehr gegeben ist und alles ist nur noch Ideologie, dann ist der Ankerpunkt des Kindes oder des Jugendlichen ja nur noch es selbst. Den Kindern wird in der finnischen Schule einfach die ganze Zeit nur vermittelt: Du bist ganz toll und dich darf man auch nicht kritisieren. Jede Forderung von Leistung oder Disziplinierung oder Ordnung ist Kritik oder könnte dem Kind schaden. Und die Bücher müssen auch das Kind unterhalten und der ganze Unterricht muss irgendwie spannend und unterhaltsam sein. Dadurch legt man ja immer wieder den Ankerpunkt im Ich oder im Ego des Kindes selbst und dadurch entwickelt man natürlich eine Kultur, die vollkommen schwach jedem Zeitgeist, was auch immer das ist, ob links oder rechts oder grün oder wie auch immer, dem ist ein Kind oder ein Jugendlicher dann hilflos ausgeliefert, weil er ja gar nicht mehr das Instrumentarium hat, um das, was er da sieht in der Welt zu analysieren, unabhängig von seinem eigenen Ich.

Mhm, noch mal hin zum Thema Gleichschaltung. Wie empfinden Sie die Gleichschaltung in der Schule? Wie macht sich das bemerkbar?

Also die finnische Kultur ist historisch wahrscheinlich schon eine recht homogene Kultur und ein wesentliches Merkmal der finnischen Bevölkerung ist, glaube ich, auch so etwas wie Neid. Also man grenzt sich sehr stark ab von dem, was anders ist und ist auch schnell neidisch auf etwas, was anscheinend besser ist. Also das ist natürlich dann schon mal in den Wurzeln gegeben und diese Haltung führt natürlich sehr schnell dazu, dass auch in der Schule oder in der ganzen Gesellschaft eine starke Homogenisierung da ist und man abweichendes nicht frei betrachten und sich damit auseinandersetzen kann, sondern eher ausgrenzt. Also ich sehe das auch schon in der Schule. Meine Kinder haben ja auch einen deutschen Hintergrund und obwohl sie natürlich fließend Finnisch sprechen und hier in die Schule gehen und ja gar nicht in dem Sinne mehr Deutsch sind, werden sie aber doch als die Deutschen gesehen, weil sie natürlich etwas anders sind als Leute, die immer hier auf dem Land gelebt haben. Und ich glaube, im Vergleich zur deutschen Kultur, die ja wirklich sehr tolerant und offen ist, ist die finnische Kultur schon sehr auf diese Homogenität hin ausgerichtet.

Homogenität und Mitläufertum, sagen Sie sogar in Ihrem YouTube-Kanal, wo Sie einen Beitrag über die aktuelle Situation in Finnland geschrieben haben. Wenn ich Sie da zitieren darf: Diese geistige Wandlung eines Landes von einer bezaubernden, stillen, fleißigen und ehrlichen Nation zu Kulturlosigkeit, Mitläufertum und hohlem Konsum wird heute systematisch schon in der Schule angelegt. Das hört sich erschreckend an.

Ja, das ist es leider auch. Und ich denke, wir erleben das in ganz Europa, diesen Druck zu einem globalistischen Blick auf den Menschen, der angeblich überall gleich ist. Und durch diese Herangehensweise wird natürlich alles eigene, gewachsene, kulturelle, familiäre dann sehr kritisch gewürdigt und auch schnell als Ballast abgeworfen oder als ewig gestrig oder rechts. Sogar wenn man jetzt vielleicht 10, 15 Jahre zurückgeht, dann waren die Finnen wirklich sehr freundlich und sozial. Und ich habe mit vielen Ausländern hier in Finnland gesprochen und die erzählen mir auch, vor nicht allzu langer Zeit war es so, wenn man einen Finnen nach dem Weg gefragt hat, dann ist er mit ihnen noch eine ganze Weile mitgegangen und hat ihnen wirklich den Weg bis zum Ziel gezeigt. Und inzwischen haben sich auch die Finnen sehr zurückgezogen in ihre eigenen vier Wände und vermeiden alles Soziale. Und durch die Coronageschichte ist natürlich das Soziale noch mal zusätzlich unter Beschuss geraten und vieles ist dann eingestellt worden in dieser Zeit. Und ich glaube, diese zunehmende Isolation hat auch dazu geführt, dass eine bestimmte Gleichförmigkeit noch mal viel stärker durchmarschieren kann.

Aus meiner Sicht: Finnland ist ja kein großes Land. Finnland hat 5 Millionen Einwohner. Die Fläche ist zwar fast so groß wie Deutschland, aber von der Bevölkerung her ist Finnland sehr überschaubar. Das heißt, eigentlich wäre es gar nicht so schwierig, hier eine Gesellschaft zu bauen, die gemeinsam gut funktioniert. Aber dadurch, dass man sich eben so ins Private zurückzieht und dann eine Gesellschaft hat, in der man eigentlich auch nicht persönlich Verantwortung übernimmt, sondern immer nach den Regeln schaut, haben Sie ganz schnell so eine gleichgeschaltete Gesellschaft, in der alle im Gleichschritt nach vorne marschieren. Und ich erlebe das immer wieder, dass es bestimmte Regelungen gibt im Gesundheitswesen, im Schulwesen, die mir absurd erscheinen. Und ich frage dann nach: Warum ist das so und so? Und das macht doch gar keinen Sinn, dass das so und so und so geregelt wird. Aber man sagt mir dann immer: Ja, ich sehe das genauso. Also man stimmt mir dann immer zu. Und die Antwort ist aber: Es ist nun mal so geregelt. Ja, also man zieht sich immer auf diese Position zurück.
Das ist eben das System und deshalb wird das jetzt so gemacht. Und obwohl das Land so klein ist und man es ja über eine personale Verantwortlichkeit regeln könnte, dass ich dort, wo ich stehe, als Lehrer, als Arzt, als Psychologe Verantwortung übernehmen könnte für meine Entscheidungen, aber die Leute haben davor Angst und verstecken sich dann hinter Abläufen und Regelungen und führen die Dinge eben so durch, wie es vorgegeben ist, obwohl das völlig sinnlos ist in vielen Dingen. Und das ist natürlich dann eine große Gefahr für eine Gesellschaft, weil sie brauchen ja nur das System zu kapern. Sie brauchen ja nur die Stellschrauben dieses Systems zu verändern und die Ziele des Systems zu verändern, und dann haben Sie eine völlig andere Gesellschaft, wenn die Menschen nicht gelernt haben, persönlich Verantwortung zu übernehmen in diesem System.

Hm, das hört sich an wie ein blindes Vertrauen in Vorgaben und Politik. Sehe ich das richtig?

Ja, genau. Ich meine, vor vielleicht 30 oder 50 Jahren war das finnische System ja auch gut. Also die Menschen waren wirklich sehr ehrlich hier in Finnland und sehr verlässlich und haben ihre Entscheidungen auch getroffen im Sinne der Gemeinschaft, was gut für alle ist. Soweit man das... Ich meine, das war natürlich auch nicht perfekt, aber es war eben doch ein System, das auf Ehrlichkeit und Transparenz noch basierte und man kannte sich auch. Und jetzt ist es ja so: Es gab eine massive Landflucht. Die sozialen Zusammenhänge sind auseinandergerissen worden. In den Städten kennen die Leute oft ihre Nachbarn im Wohnhaus nicht mehr und es gibt eben nicht mehr diese gewachsene Sozialität. Und dann gibt es einfach nur noch diese harten Regeln, die umgesetzt werden, die ja irgendwo herkommen, aber dann gar nicht mehr unbedingt Sinn machen. Und um eben neue Regeln zu schaffen, brauchen Sie natürlich Demokraten, also Menschen, die sich informieren, Menschen, die Debatten führen können, die zuhören können, die sich auseinandersetzen können mit Dingen und die gemeinsam im Sinne der Gemeinschaft dann auch Lösungen suchen. Aber dieser Menschenschlag wird ja heutzutage gar nicht mehr gefördert und in der Schule wird er auch nicht mehr ausgebildet. Ja, und natürlich ist das dann für eine Demokratie und eine Gesellschaft, in der alle Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit Platz haben sollen, ein großes Fragezeichen.

Was meinen Sie, warum galt aber Finnland dennoch trotz dieser Ereignisse, die sich in den letzten Jahren gezeigt haben und deutlich auch gezeigt haben, warum galt Finnland dennoch lange Zeit in Westeuropa als Vorzeigeland, gerade in der Bildung?

Das hat sicherlich viel damit zu tun, dass man, wenn man etwas anderes betrachtet, betrachtet man es ja meistens mit den eigenen Voraussetzungen. Ja, und man kennt ja das andere gar nicht. Das fängt ja schon in der Ehe an, dass man oft unzufrieden ist mit dem anderen, weil man ihn aufgrund seiner eigenen Voraussetzungen betrachtet. Und natürlich, wenn Sie jetzt von Deutschland nach Finnland schauen, dann sehen Sie nur die PISA-Ergebnisse, wie sie mal 2003 waren und setzen das blind in Bezug zu den deutschen PISA-Ergebnissen, ohne zu vergleichen: Was steckt denn da alles dahinter? Dinge sind ja nicht einfach vergleichbar, sondern um etwas zu verstehen, muss man ja oft in dieses andere System hineinspringen oder zumindest anerkennen, dass da ganz viele andere Zusammenhänge gegeben sind, die man in dem Moment gar nicht kennt. Und über Finnland weiß man ja oft gar nichts, außer dass es viele Mücken gibt und dass es im Winter sehr kalt ist oder solche Dinge. Daher denke ich, sollte man immer bei solchen internationalen Vergleichen auch hergehen und sich das Land einfach mal genauer anschauen. Bei der letzten PISA-Studie haben ja die asiatischen Länder sehr gut abgeschnitten. Und das ist aber auch die Frage, ob man so ein System wie das asiatische nun haben will. Ja, also das macht ja auch nicht unbedingt Sinn, nur weil etwas gut bei PISA abschneidet. Ja, was misst man denn da überhaupt?

Wie sehen das denn Ihre Kollegen oder Eltern oder Bekannte? Sind Sie da mit ihrer Ansicht relativ alle auf weiter Flur oder haben Sie viele Bekannte, die sagen: Ich sehe das genauso?

Ja, da haben Sie natürlich wieder diese finnische Gleichförmigkeit. Also in dem Moment, wo Sie ausscheren und etwas anders betrachten, stoßen Sie hier einfach an Wände. Also wenn Sie das System kritisch betrachten und egal, wie Sie das begründen, das kann man ja alles sehr gut begründen, warum man etwas kritisiert, dann wurde das einfach bisher nicht gehört. Und alles das, was jetzt PISA eigentlich gezeigt hat, das war mir eigentlich von Anfang an klar. Und jetzt wird es natürlich für die finnischen Behörden und die Lehrer auch durch diese PISA-Studie langsam klar. Aber da hier eine gewisse Kultur der Auseinandersetzung über die Inhalte fehlt, weil eben alles in gewisser Form homogen und gleichgeschaltet ist, rein historisch schon, gibt es eigentlich hier keine großen Möglichkeiten, etwas anzusprechen, ohne dass das Land schon in den Abgrund gerutscht ist, sozusagen.

Ich habe in der Schule öfter schon dieses Problem der Digitalisierung angesprochen und auch erklärt: Erstmal ist das ein Eingriff in die Erziehung der Familien, weil vielleicht will nicht jede Familie, dass die Kinder am Bildschirm lernen. Also ich möchte das eigentlich nicht. Ich möchte, dass meine Kinder mit der Hand schreiben, dass meine Kinder Bücher lesen, auf Papier schreiben, in der realen Welt etwas sich anschauen und nicht an einem Touchscreen rumwischen. Und ich habe das ganz oft in der Schule erklärt, welche negativen Konsequenzen mit dieser Form der Bildungsvermittlung verbunden sind: der Verlust der Handschrift, der Verlust der analogen Welt, die man erkundet, einfach durch Greifen und Fassen und reales Handeln in dieser Welt. Und aber diese Punkte haben eigentlich nur zu Schulterzucken geführt. Und das ist ja auch klar, ich habe ja dort als Mutter gestanden und nicht als Expertin. Aber natürlich, was ich hier immer so interessant finde, ist: Man wird dann als Mutter immer wieder gefragt: Ja, möchtest du auch noch hier etwas dazu sagen? Und dann sagt man vielleicht noch etwas dazu, aber es hat eigentlich gar keine Konsequenz, weil das einfach nur so eine höfliche Floskel ist, aber man eigentlich gar nicht wirklich hören will, was die Mutter da zu sagen hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen