Dienstag, 12. November 2024

„Diese Jugendlichen können im Grunde genommen nur klicken und wischen“

„Deutlicher und signifikanter Kompetenzrückgang“: Achtklässler in Deutschland bauen bei den IT-Kenntnissen ab, zeigt eine Studie. Mehr als 40 Prozent sind auf einem Stand, den die Forscher als „sehr besorgniserregend“ bezeichnen. 

Es ist kurios: Kinder der Generation der Digital Natives wachsen seit frühester Kindheit mit digitalen Endgeräten auf. Sie swipen und tippen in einer Geschwindigkeit auf ihren Smartphones herum, dass ihren Eltern Hören und Sehen vergeht. Und doch nimmt das grundlegende Verständnis für die technischen Hintergründe der elektronischen Alltagshelfer immer weiter ab. Das zeigt die „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) 2023, die am Dienstag von der Kultusministerkonferenz vorgestellt wurde. Unter der Leitung von Erziehungswissenschaftlerin Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn werden darin alle fünf Jahre die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlern in Deutschland im internationalen Vergleich getestet. 
Das durchaus zwiespältige Ergebnis: Die deutschen Schüler bewegen sich in ihren Kompetenzen zwar nach wie vor im guten Mittelfeld der 35 getesteten Staaten und leicht über dem EU-Schnitt. Die Leistungsentwicklung der vergangenen zehn Jahre ist aber negativ – trotz des Digitalisierungsschubs infolge der Corona-Pandemie. Erreichten die deutschen Achtklässler 2013 noch eine durchschnittliche Punktzahl von 523 Punkten, waren es 2018 nur noch 518 und 2023 nur noch 502 – ein „deutlicher und signifikanter Kompetenzrückgang“, wie es in der Studie heißt. Ein noch deutlicherer Rückschritt wurde nur in Dänemark und den USA gemessen. 
Und was noch schwerer wiegt: Immer mehr Schüler erreichen nicht einmal die grundlegenden Kompetenzen. Die höchste Kompetenzstufe V erreichen demnach nur 1,1 Prozent der Achtklässler. Mehr als 40 Prozent verfügen inzwischen nur noch über sehr geringe Fähigkeiten im kompetenten und reflektierten Umgang mit digitalen Medien und Informationen und erreichen maximal Kompetenzstufe II. Das sind deutlich mehr als in den Jahren zuvor – für die Studienmacher eine „sehr besorgniserregende“ Entwicklung. Hier zeigen sich auch große Unterschiede zwischen den Schulformen: Während die Schüler an Gymnasien mit 559 Punkten einen Kompetenzstand im Bereich der internationalen Spitzengruppe erreichen, sind die Ergebnisse an den nicht gymnasialen Schulformen mit 472 Punkten unterdurchschnittlich. 

„Viel hilft nicht viel“
Konkret wurde gemessen, wie es um die individuellen Fähigkeiten der Schüler bestellt ist, digitale Medien zum Recherchieren, Gestalten und Kommunizieren von Informationen zu nutzen. In einem weiteren Abschnitt ging es um die hohe Schule des ‚Computational Thinking‘, also bewerten zu können, welche Probleme man mithilfe der Informationstechnologie lösen kann und wie Algorithmen funktionieren. In diesem Teil waren die Durchschnittswerte besonders schlecht – andererseits aber die Spitzengruppe mit fünf Prozent auch besonders groß. Für Studienleiterin Eickelmann ein Beleg dafür, dass guter Informatikunterricht sich durchaus auszahle. In der Summe zeige die Studie allerdings, dass trotz des Pandemie-bedingten Digitalisierungschubs und der Investitionen über den Digitalpakt Schule inhaltlich zu wenig erreicht wurde. Die technische Ausstattung habe sich zwar massiv verbessert. Inzwischen müssen sich fünf Schüler ein digitales Endgerät teilen statt zehn wie noch 2018. 
Doch die Geräte allein garantieren noch keinen Lernerfolg. Alarmierend sei vor allem, dass 40 Prozent der Schüler tatsächlich nur über sehr basale digitale Kompetenzen verfügten, sagte Eickelmann. Vor allem Schüler mit nicht-deutscher Familiensprache, mit Zuwanderungshintergrund und aus sozial benachteiligten Lagen würden bei der digitalen Transformation zurückgelassen. „Diese Jugendlichen, von denen wir denken, dass sie Digital Natives sind, können im Grunde genommen nur klicken und wischen.“ Ihr Fazit: „Viel hilft nicht viel. Die häufige Nutzung digitaler Medien führt nicht automatisch zu Lernergebnissen.“ Entscheidend sei, dass Lehrkräfte digitale Medien didaktisch sinnvoll einsetzten. 
Der neue Bildungsminister Cem Özdemir (Grüne) bezeichnete die bessere digitale Ausstattung durch den Digitalpakt Schule als Erfolg. „Die Studienergebnisse zeigen aber auch, dass wir uns darauf nicht ausruhen können und es ein ganzheitliches Konzept für digitale Bildung braucht“, so Özdemir. „Dass in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt weiterhin zu viele Jugendliche nicht sicher mit digitalen Medien umgehen können, sollte uns daher zu denken aufgeben.“ Angesichts knapper Ressourcen müssten Finanzhilfen des Bundes daher auch zur Fortentwicklung pädagogischer und mediendidaktischer Aspekte in den Ländern eingesetzt werden. Ob die zähen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über einen Digitalpakt 2.0 in der Restlaufzeit der Ampel-Koalition noch zum Erfolg führen, scheint mehr als fraglich. Versuchen will es Özdemir zumindest. Er setze auf konstruktive und ergebnisorientierte Gespräche und wolle die Verhandlungen zu einem gemeinsamen Erfolg führen: „Wir brauchen keine unnötigen Konfrontationen. Der Digitalpakt 2.0 muss kommen, denn Digitalisierung ist eine kontinuierliche Aufgabe, die uns alle angeht.“

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