Donnerstag, 7. November 2024

"Wenn ich König von Deutschland wäre... würde ich zurückgehen zu einem gestaffelten Bildungssystem"

Gegen eine höhere Qualität in der Bildung kann ja nun niemand ernsthaft etwas haben. Die Frage ist nur, ob alle Beteiligten unter Qualität dasselbe verstehen und ob die angestoßenen Maßnahmen den gewünschten Effekt haben. In Deutschland gibt es angesiedelt an der Humboldt-Universität in Berlin das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, kurz IQB. Was ist dessen Rolle und dient seine Arbeit wirklich der Verbesserung der Bildung im Land? Und wenn nicht, was bräuchten wir denn stattdessen? Darüber sprach Stefan Milius (KONTRAFUNK) mit Professor Dr. Bernhard Krötz, Mathematiker und Hochschullehrer an der Universität Paderborn.

KONTRAFUNK: Herr Krötz, Sie treten unter anderem mit Videos auf YouTube immer wieder als Kritiker des Mathematikunterrichts in Deutschland auf und bemängeln dessen Qualität. Da müsste Ihnen ein Institut wie das IQB ja bestens bekannt sein, das sich der Qualitätsentwicklung in der Bildung verschrieben hat. Aber vor ein paar Monaten haben Sie in einem Video mal erklärt, noch nie davon gehört zu haben. Das müssen Sie uns zunächst mal erklären, wie das kommen kann.

KRÖTZ: Ich bin eigentlich in das Ganze ein bisschen reingerutscht, weil ich ein Video gemacht habe über einen Ländervergleich zwischen dem Abitur in Deutschland und den Aufnahmeprüfungen in Indien für die IITs, die Indian Institutes of Technology. Das fiel verheerend aus. Bis dato war unser Kanal sehr klein mit 15.000 Aufrufen und 150 Abonnenten. Dieses Video hat jetzt bis heute, glaube ich, 300.000 Aufrufe, und innerhalb kürzester Zeit war ich dann in den Medien. Viele Leute wollten mit mir sprechen, und dann habe ich begonnen, auch mit den vielen Zuschriften, die ich von den Zuschauern bekommen habe. Wir haben mittlerweile mehrere Leitzordner gefüllt, um mich mehr in diese Materie einzuarbeiten, und dann bin ich eben auf das IQB gestoßen und was das mit Qualität in der Bildung in Deutschland zu tun hat.

Dann stellt es sich heraus: Ja, das ist so eine Art Monitoring. Also, es ist angesiedelt bei der Humboldt-Universität, und es werden da Vergleichsarbeiten geschrieben, die sind verbindlich in Deutschland in der dritten und in der achten Jahrgangsstufe und zwar in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik. Eine von diesen Vergleichsarbeiten habe ich auch mal besprochen. Dabei ist zu sagen, dass diese Arbeiten nicht öffentlich zugänglich sind. Jemand hat es mal kopiert, und ich habe dann eine PDF also auf der Suchmaschine ergattert. Die sind auch für jedes Bundesland verschieden, aber man kennt sie nicht. Man kennt auch die Bewertungsspiegel nicht. Die allgemeine Qualität von diesen Vergleichsarbeiten finde ich jetzt hier nicht gerade hilfreich, um einen Bildungsstandard in Deutschland beurteilen zu können. Aber das machen sie dann in ihrer Publikation. Es ist ähnlich wie bei PISA. Es wird also über die eigentlichen Tests nicht gesprochen, sondern nur über die Resultate.

Dann bekommen Sie dann so etwas wie beim letzten Mal, dass ungefähr ein Drittel aller Grundschulkinder in Deutschland nicht übertrittsreif sind für eine weiterführende Schule, dass man Defizite hat beim Rechnen in Mathematik bei etwa 30 % und beim Lesen und Schreiben auch durchschnittlich bei 30 %, wobei das von Bundesland zu Bundesland natürlich differiert und von Schule zu Schule. Differiert, wie aussagekräftig diese Tests sind und ob man die überhaupt, wie möchte ich sagen, man kann eigentlich keine vernünftige Debatte darüber führen, wenn die Tests nicht öffentlich sind und wenn die Bewertungsspiegel nicht öffentlich sind. Dann geht es eigentlich nicht, und das ist sozusagen ein Hauptkritikpunkt. Der ist ähnlich wie bei diesen PISA-Tests. Diese PISA-Tests sind nicht öffentlich, die Bewertungsspiegel sind nicht öffentlich. Die Schulen, die daran teilnehmen bei PISA, sind nur eine ganz kleine Anzahl von Schulen. Wir kennen das nicht, und dann wird uns irgendein Resultat kredenzt.

Ja, und momentan ist das, was uns kredenzt wird von dem IQB, dass es sehr besorgniserregend ist, was sicherlich auch zutrifft, aber vielleicht aus anderen Gründen. Aber Sie waren ja wahrscheinlich nicht allein mit dieser Unkenntnis über das IQB. Das ist nichts, was jetzt im Volksmund irgendwie bekannt ist. Man bekommt den Eindruck, dass da irgendwelche Institute oder Institutionen zugange sind in der deutschen Bildungslandschaft, die überhaupt nicht irgendwie eine Durchdringung bei der Allgemeinheit haben. Haben wir es hier mit einer Art Parallelwelt im Bildungswesen zu tun?

Ja, es ist schön, dass Sie das ansprechen. Das IQB ist ein Teil der KMK, der Kultusministerkonferenz, und ich habe jetzt hier mal ein Zitat von dem Altkanzler Helmut Schmidt, der in seiner Bilanz als Politiker in dem Buch „Außerdienst“ erschien 2008, sich sehr kritisch über diese Kultusministerkonferenz geäußert hat. Ich zitiere: „Einen eigenen behördlichen Unterbau im Umfang eines mittleren Bundesministeriums geschaffen und sich ganz erhebliche Kompetenzen angeeignet. Dabei sei diese Behörde weder im Grundgesetz vorgesehen noch wird sie von einem Parlament kontrolliert. Ihre Leistungsfähigkeit ist am besten an dem Rechtschreibungswirrwarr zu erkennen, den sie zum allgemeinen Ärger angerichtet hat. Trotzdem haben sich die Regierungschefs der Länder bisher nicht zur Abschaffung dieser dicht am Rande der Legalität funktionierenden Behörde entschließen mögen. Es handelt sich nebenbei gesagt um ein Paradebeispiel für die allgemeine Lebenserfahrung, nach der eine einmal geschaffene Bürokratie die Tendenz verfolgt, ihre Kompetenzen nach Möglichkeiten auszuweiten, jedenfalls aber ihre Existenz zu perpetuieren.“

Also eine sehr deutliche Kritik von Helmut Schmidt, der letztendlich für die sofortige Abschaffung dieser KMK plädiert. Und das ist eben gewachsen. Das IQB ist eine Monitoringbehörde, die von der KMK ins Leben gerufen worden ist und zwar, um verbindliche allgemeine Bildungsstandards in Deutschland zu etablieren, weil man eben die Unterschiede festgestellt hat zwischen den verschiedenen Ländern und das wollte man nicht mehr haben. Ein sehr gutes Abitur in dem Bundesland A muss ja ein sehr gutes Abitur in dem Bundesland B entsprechen. Das tut es nicht, und man hat eben begonnen mit dem IQB. Und dann gab es auch einen wissenschaftlichen Beirat. Das wird immer besser. Also das ist die ständige wissenschaftliche Kommission von sogenannten Experten, die dann hier beraten wird.

Und man unterwandert jetzt letztendlich das föderale Prinzip, dass Bildung eigentlich Länderhoheit ist, und man arbeitet sich mit dem IQB auf ein bundeseinheitliches Abitur z.B. vor, der einheitlichen Abschlussprüfung in ganz Deutschland. Das IQB setzt dafür die Standards. Es gibt da Aufgabenpools, an denen sich die Länder dann immer bedienen und Aufgaben aus dem Pool auswählen. Und es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir auf dem Niveau des IQBs ein bundeseinheitliches Abitur oder insgesamt bundeseinheitliche Abschlussprüfungen von der mittleren Reife bis zum Abitur hin etc.

Das klingt für mich ein bisschen so, als wenn Sie jetzt nicht einfach die Arbeit eines einzelnen Instituts kritisieren möchten, sondern die Art und Weise, wie überhaupt Bildungsstandards in Deutschland entstehen und umgesetzt werden. Und diese Vereinheitlichung, das scheinen Sie nicht unbedingt zu favorisieren.

Na ja, man kann ja sagen, dass einheitliche Standards, wenn sie hoch sind, etwas Gutes sind. In Deutschland haben wir das aber, dass in manchen Bundesländern die Abiturientenquote beinahe zu 60 % liegt, wie in Schleswig-Holstein, ich glaube Hamburg 55 %. In anderen Ländern, wie in Sachsen, sind es 30 %. Die Kognitivität unter uns Menschen ist eben mal gauß verteilt, und das ist vollkommen klar, dass ich als einer höheren kognitiven Gruppe einfach mehr beibringen kann. Und dann habe ich also höhere Standards. Hätten wir bundeseinheitliche Standards wie im bayerischen Abitur der 80er Jahre, wenn das der bundeseinheitliche Standard wäre, dann hätte ich natürlich nichts dagegen. Aber was mit dem IQB passiert ist, ist sozusagen eine Angleichung nach unten, und die kann nicht zuträglich sein für unsere Gesellschaft und für unsere Wirtschaft schon gleich gar nicht.

Also Deutschland nivelliert im Prinzip einfach nach unten, legt die Messlatte immer tiefer, und das Ergebnis ist dann, dass man Standards einhält, obwohl sie nicht mehr den Standards von früher entsprechen. Verstehen Sie richtig?

Ja, das verstehen Sie sehr richtig. Zum Beispiel ist das deutsche Abitur in der Schweiz nicht mehr anerkannt. Wenn ein deutscher Abiturient an der ETH Maschinenbau studieren möchte, muss er eine Aufnahmeprüfung in Mathematik schreiben, weil man dem deutschen Abitur letztendlich keine Wertigkeit mehr zuspricht. Ich habe mir die Abituraufgaben von verschiedensten Ländern angeguckt: Marokko, Gabun, Türkei, Russland, Indien, auch China, die Eingangsprüfung an den chinesischen Universitäten, und wir liegen im Vergleich zu all diesen Ländern massiv zurück, auch hinter Marokko und hinter Gabun.

Es ist ja kein Geheimnis, dass die marokkanischen Ingenieursstudenten die französischen einheimischen Studenten in die Tasche stecken. Man weiß das, die sind sehr gut ausgebildet. Allerdings muss man sagen, ist das Bildungssystem in Nordafrika sehr elitär. Es ist nur eine kleine Gruppe, die dort das Abitur macht nach den alten französischen Standards, nach den alten Standards des Baccalauréats. Und selbst in der Türkei ist das Abitur deutlich anspruchsvoller als in Deutschland. In Russland so und so.

 Ja, die Frage mag jetzt naiv klingen, aber es kann ja niemand ernsthaft wollen, dass wir hinter Gabun oder Marokko liegen. Woran liegt das? Was sind das für Kräfte, die das befeuern, dass diese Standards nach unten gelegt werden?

Na ja, es ist halt letztendlich der Trend in der Gesellschaft zu einer vollständigen Egalisierung. Also alle Menschen sind gleich, ja etc. pp. und dass man jedem alles beibringen könnte und nur das richtige Konzept, wenn man das hat oder so, also das ermöglichen würde. Das ist natürlich Quatsch. Das ist dieser Trend. Wir hatten in Deutschland das erfolgreichste Bildungssystem der Welt. Wir haben die Menschen, unsere Kinder, in kognitive Gruppen eingeteilt: Hauptschule, Realschule, Gymnasium, und die allerschwächsten haben wir sonderpädagogische Förderung gegeben. Und wir sind damit sehr gut gefahren, weil jeder in seinem Intervall, in dem er sich befindet oder so, optimal ausgebildet worden ist.

Mittlerweile sind die Gymnasien sehr heterogen geworden. Klassische Realschüler sitzen also im Gymnasium, und das kann natürlich nicht gut sein. Und es geht halt nicht in einer Geschwindigkeit. Es ist auch belegt, und das ist ein politischer Wille. Und dieser politische Wille zerbricht gerade an den Realitäten.

Mir ist auch aufgefallen, dass Sie sich schwer tun mit dem inzwischen sehr beliebten Begriff der Kompetenzen im Kontext mit der Schule. Das Wort Kompetenz wird dort inflationär benutzt. Was genau bekritteln Sie an diesem Ausdruck?

Wenn das Bildungswesen also sagt, wir müssen Kompetenzen fördern, ja, diese Kompetenzen, das ist letztendlich, man möchte fächerübergreifend unterrichten, sozusagen eine Synopsis herstellen, also Bezüge herstellen. Das ist ja an sich nichts Verkehrtes. Aber irgendwie haben die Leute das Glasperlenspiel von Hermann Hesse nie gelesen. Das war ein klassischer Bildungsroman, den ich in der Schule noch konsumiert habe, und da geht es um den Magister Ludi, den Meister des Spiels, der sich erst dann, ja sozusagen herauskristallisiert, wenn alle Disziplinen sauber erlernt worden sind. Und auch das ist das, was Humboldt im Sinn gehabt hat. Erst wenn ich mein Handwerk gelernt habe, ja, kann ich über Dinge vernünftig sprechen.

Alles, was vorher zusammengemischt wird, das ist wenig sinnvoll. Beispiel oder so: Man nimmt diese ganze Bildung für nachhaltige Entwicklung, wo man also sehr auf Nachhaltigkeit getrimmt wird. Man spricht dann über Gase in der Atmosphäre oder welche Auswirkungen das sie haben, ohne diese Gase zu kennen, was diese Moleküle sind. Und vielleicht sollte man über diese Dinge dann erst in der Oberstufe sprechen, wenn die Grundlagen aus der Chemie eben da sind.

Ja, und sich auf das beschränken, auf was man wirklich sagen kann. Korrelation und Kausalitäten nicht verwechseln, was man eben gerne tut. Kompetenzen, das ist es so. Man hat also die Mathematik z.B. kompartmentalisiert, also in fünf Leitideen: Algorithmus und Zahl, Raum und Form, Messen, Daten und Zufall und der Funktionsbegriff. Das ist eine artifizielle Unterteilung. Und genauso werden dann die Aufgaben gestellt in fünf verschiedene Kompetenzordnungen. Was hat mit Daten und Zufall zu tun? Was mit Messen? Eine gute Aufgabe, die letztendlich auch einen Gedankenstrang hat, die können Sie nach diesen Kompetenzvorgaben gar nicht mehr entwickeln.

Es ist auch in der Mathematik vor allem also diese unglaubliche Versprachlichung der Mathematik von der Grundschule an, die momentan also sehr woke ist. Und das ist eigentlich auch nicht gut, denn Mathematik ist eben sprachreduziert. Die Sprache der Mathematik ist universell: plus, minus, mal, geteilt, das ist Gleichzeichen, die Ziffern sind gleich überall auf der Welt. Und das hatte eben dann auch zur Folge, dass unsere Migrantenkinder in meiner Generation oftmals sehr gut waren in Mathematik und schlecht in Deutsch. Und heute sind sie auch in Mathematik schlecht, weil sie das gar nicht verstehen, was von ihnen verlangt wird.

Es ist sozusagen also ein falscher Fokus, ein Schwerpunkt auf das Verstehen, was in der Entwicklung der Kinder gar nicht möglich ist. Und die Probleme beginnen damit, dass man in der Grundschule das Handwerk nicht mehr gelernt hat, das Rechnen, das kleine Einmaleins nicht beherrscht, dass man also keinen guten Zahlbegriff hat, dass man also mit den Zahlen nicht umgehen kann. Und dann transportiert sich das weiter in den weiterführenden Schulen. Habe ich kein Verständnis von Zahlen, kann ich nicht so einer Variable abstrahieren, und spätestens in der achten Klasse ist die Mehrheit aller deutschen Schüler mit Mathematik auf Kriegsfuß, was sie eigentlich nicht sein müssten, wenn die Grundschule ihre Aufgaben ordentlich gemacht hätte.

Aber diese Kompartimentalisierung, die hat man mittlerweile auch zwischen den Schulformen. Die Gymnasiallehrer interessieren sich nicht für das, was die Grundschüler tun, und umgekehrt. Ich habe mich da auch mal mit einer Landesleiterin in einem Bundesland unterhalten und dann habe ich sie gefragt: Haben Sie sich mal mit den Grundschullehrern unterhalten? Sie sagt: Nein. Ich sage: Haben Sie sich mal mit den Realschullehrern unterhalten? Nein. Aber Sie diagnostizieren Probleme in der fünften Klasse im Gymnasium? Ja. Ich sage: Warum reden Sie nicht mit den Leuten? Ja, und genau das Gleiche ist mit den Universitäten und den Gymnasien. Oder diese Bildungs... Wir haben hier keine Kommunikation mehr. Die in der Schule machen irgendetwas und glauben, das wäre für die Universität relevant. Ist es nicht.

Ein klassisches Gymnasium, was prozedurale Lehrpläne hat, also auf die Wissenschaft hinzuarbeiten, die hat man letztendlich entkernt mit dieser Kompetenzorientierung. Man hat die Inhalte herausgenommen. Es wird Blabla, und das soll dann ein Abitur hergeben. Aber das Abitur zertifiziert keine allgemeine Hochschulreife mehr. Das ist das Problem. Und das deutsche Abitur, wie ich gesagt habe, Beispiel Schweiz, wird im Ausland schon gar nicht mehr anerkannt. Und das sind eben auch die Konsequenzen. Mit der Kompetenzorientierung gab es eine inhaltliche Entleerung unserer Lehrpläne.

Was Sie hier beschreiben, bedeutet ja nichts anderes, als dass wir gewisse Schritte vorwegnehmen, ohne vorher die Grundlagen zu bilden. Und jetzt ist die Frage, welche Auswirkungen das weiter hat. Wenn wir es mal ein bisschen weiterspinnen, haben wir in welchem Zeitraum keine deutschen Ingenieure mehr. Haben Sie da eine Ahnung? Weil diese Dinge, die kommen ja immer verzögert, die Folgen.

Nein, wir sind eigentlich jetzt schon da, und ich kann Ihnen das sagen. Also wir haben mittlerweile auch in der Universitätslandschaft in Deutschland ein Zwei-Klassensystem. Nehmen wir mal das Beispiel Maschinenbau. Wenn Sie das in Aachen studieren, beginnen Sie mit 1.000 oder mehr Anfängern. Also vor Corona waren es, glaube ich, 16.600 in dem kleinen Regierungsbezirk, in dem ich bin, Ostwestfalen-Lippe. Wir bedienen 2 Millionen Menschen, hatten wir in der Regel 250 Anfänger bis 300 Anfänger Maschinenbau. Mittlerweile sind wir runter bei 70. Studiert, von denen sind vielleicht 20 bis 25, die in den Master übertreten. Momentan 20. Wenn das so weitergeht, können wir den Studiengang an meiner Universität schließen. Und das bedeutet, dass also für diese Region hier keine Ingenieure mehr ausgebildet werden. Ob es schlecht ist, weiß ich nicht. Die können ja auch alle nach Aachen gehen. Dort hat man dann die Möglichkeit, eben durch die größere Masse oder so höhere Standards zu fahren. Aber allgemein denke ich schon, dass wir mehr Ingenieure brauchen, vor allem gut Ingenieure. Es wird nicht alles abgelöst werden durch moderne Technologien. Künstliche Intelligenz muss man eben auch herstellen können, ja. Also, sie muss maßgeschneidert werden, also von Ingenieuren, die wissen, was sie tun.

Und ich glaube, es ist mehr als naiv, ja. Also hier, und das ist ja auch, also im Zuge dieser Digitalisierung, die hier als große Hoffnungsträger verkauft wird, dass man also bald sozusagen auf dem Boden der Tatsachen fallen wird. Wie sich das auswirkt, das weiß ich nicht. Es kann ich Ihnen nicht genau sagen.

Aber die Politik spricht ja davon, dass man die Standardqualitäten erhöhen möchte, was ja nur über das Bildungswesen läuft. Hat das wirklich in der Politik niemand auf dem Radar, was Sie jetzt gerade beschrieben haben?

Doch, ich denke, dass sie das auf dem Radar hatten und dass es vielleicht sogar von langer Hand geplant war, als man in Deutschland das Exzellenzsystem eingeführt hat. Die Eliteuniversitäten hat man eigentlich schon eine Zweiklassengesellschaft an den Universitäten also vorweggenommen. Die hat man jetzt, und das war sicherlich gewollt. Inwieweit oder so, also diese Planungen dazu habe ich ja so keine Einsicht, aber die Indizien weisen sehr darauf hin. Und wir laufen jetzt in eine Situation zu, dass wir wahrscheinlich in Deutschland ein Drittel der Universitäten schließen müssen, weil wir gar nicht mehr die Studienanfänger in dieser Qualität haben.

Ist eine Frage, ist es was Gutes, ist es was Schlechtes? Wir haben ja mittlerweile doppelt so viele Studenten, als wir das zu meiner Zeit hatten, also vor 30 Jahren. So Pi mal Daumen, wenn ich das sehen mag. Aber es hat sich eben in den harten Fächern eben nicht verdoppelt. Ja, in Mathematik wird's weniger, auch in den Ingenieurwissenschaften wird's weniger.

Und wir haben also diese Studenten in Bereichen, die wirtschaftlich aus meiner Sicht oder so deutlich weniger produktiv sind als wie Absolventen im MINT-Bereich. Man darf ja Träume haben.

Wenn Sie mal einen Tag freie Hand hätten, was würden Sie denn umgehend einführen zur Erhöhung der Bildungsstandards in Deutschland? Gibt es irgendeine Maßnahme, die man schnell implementieren könnte?

Oh, wenn ich König von Deutschland wäre... Da gibt es ja das tolle Lied von Rio Reis. Ich würde das IQB schließen, ich würde das KMK schließen, ich würde das Institut für Pädagogik in den Naturwissenschaften schließen, ich würde das Max-Planck-Institut für Erziehungswissenschaften in Berlin schließen, ich würde das BIZ schließen. Ich würde all diese... Ich würde den Einfluss also von den großen NGOs, vor allem von Bertelsmann oder so, also völlig wegstreichen. Ich würde tabula rasa machen. Ich würde die Abiturientenquote bundesweit auf 20 % beschränken. Ich würde zurückgehen zu einem gestaffelten Bildungssystem, was die kognitiven Gruppen respektiert. Ich würde wieder Disziplin einfordern, das ist eben auch ein Mangel. Ich würde die Durchgriffsrechte, die Disziplinierungsrechte der Lehrer wieder stärken. Ich würde die Methodenfreiheit der Lehrer wiederherstellen, vollständig. Ich würde die Lehrpläne wieder auf das Wesentliche reduzieren, auf echte Inhalte, nicht 50 bis 200-seitige Kernlehrpläne, sondern so, wie es früher war, auf wenigen Seiten reduziert.

Ich würde die Verantwortung wieder an die Lehrer zurückgeben. Ich würde den Nachmittagsunterricht abschaffen. Schule, wenn dann richtig, aber dann am Vormittag und dann mit voller Kraft. Und am Nachmittag ist frei. Ich würde diese ganzen Orchideenfächer aus der Schule abschaffen. Aber das ist natürlich nicht gewollt. Und das, was ich eigentlich vorschlage, ist Folgendes: Wir sind mittlerweile so divers, manche Menschen mögen es anders. Ich würde sagen, oder so, wir gehen zum alten staatlichen Bildungssystem zurück, das, was der Staat macht. Aber Sie haben die Möglichkeit, es zu machen, wie Sie wollen. Sie können eine eigene Schule gründen, und die staatliche Quote, also diese Zuschüsse, die Sie bekommen von 6.000 bis 8.000 €, je nach Schulform und Bundesland, werden Ihnen dann gegeben.

Und wenn Sie dann eben eine andere Schule haben möchten, es gibt ja interessante Modelle von Ganztagsschulen, Gesamtschulen und so weiter, dann können Sie das machen. Ich würde sozusagen das Homeschooling erlauben, ja, was auch in Deutschland verboten ist. Ich würde wirklich hier eine echte Vielfalt in das Bildungssystem bringen, und dann werden wir sehen, ja, also was erfolgreich ist und was nicht. Und ich würde auf der Seite des Staates spielen, ja. Also ich bin in der Hinsicht ein Etatist, und dann wollen wir mal gucken, ob das schlanke, effiziente staatliche Bildungssystem nicht die anderen schlägt.

Das wäre das, was ich tun würde.

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