Beinahe unisono beschworen die Parteien im NRW-Landtag am Donnerstag (9. Oktober) „Mut“, Gemeinsamkeit und „Umsetzungswillen“, um Veränderungen im Schulsystem anzugehen, und das so rasch wie möglich. Bis zu einem Drittel der Viertklässler in NRW erreiche nicht die Mindeststandards in Kernfächern, Auffälligkeiten im Sozialverhalten nähmen zu: „Das ist ein unhaltbarer Zustand für die betroffenen Kinder, aber auch für unsere Gesellschaft“, sagte der CDU-Politiker Jonathan Grunwald. „Wir sind an einem Punkt, an dem der Handlungsbedarf im Bildungssystem nicht mehr zu übersehen ist“, befand Frank Müller (SPD).
Und einiges könne man schnell anfassen, wie einen Pflicht-Ganztag an Grundschulen oder Entwicklungstests für alle Vierjährigen.
Grundlage der Debatte war der Abschlussbericht der Enquete-Kommission zum Bildungswesen in NRW. Das Gremium aus Politikern und Fachleuten hat nach Wegen gesucht, das Kita- und Schulsystem gerechter zu machen. Denn wie erfolgreich Kinder darin sind, wird heute maßgeblich von den Voraussetzungen im Elternhaus mitbestimmt. 248 Handlungsempfehlungen an die Politik liegen nun vor. Die FDP-Politikerin Franziska Müller-Rech (FDP) wollte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in die Verantwortung holen: „Wir haben für ihn aufgeschrieben, was zu tun ist“, sagte sie.
Grundschulbesuch am Nachmittag nicht mehr freiwillig
Zentrale Punkte sind Sprach- und Entwicklungstests für ausnahmslos alle Vierjährigen und dann: verpflichtende Förderung bei Bedarf. Es sollte Qualitätsstandards für Schulen sowie engmaschiges Monitoring der Erfolge geben. Grundschulen in schlechteren sozialen Lagen sollten „echte“ Ganztagsschulen werden; da wäre der Besuch am Nachmittag nicht mehr freiwillig. Vor allem sollen besonders viele Ressourcen dorthin fließen, wo es hohe Armuts- und Migrationsquoten in der Bevölkerung gibt.
CDU-Sprecher Grunwald betonte, man wolle auch Familien mehr in die Pflicht nehmen: „Wenn Eltern mehr Zeit mit dem Smartphone als mit ihren Kindern verbringen oder Elternabende und Entwicklungsgespräche als ,nice to have‘ angesehen werden, dann haben wir ein Problem, dass Kita und Schule alleine nicht lösen kann“, sagte er.
Müller-Rech hob die Chancen der Digitalisierung hervor: „Künstliche Intelligenz ist keine Bedrohung.“ Sie helfe bei individueller Förderung und verschaffe Lehrkräften Zeit für ihre Schüler.
Einzig die AfD unterschreibt den Abschlussbericht in wesentlichen Punkten nicht. Mehr Ressourcen an schwache Standorte zu leiten, nannte der Redner der Fraktion, Carlo Clemens, eine „Umverteilung des Mangels“, er warnte vor Verteilungskonflikten. Die Vorstellung von einer „vollständigen Aufhebung“ des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und Lernerfolg sei utopisch.
Uneinigkeit über Zukunft der Schulformen
Zwischen den übrigen Fraktionen klafft ein unüberbrückbarer Graben bei der grundlegenden Frage danach, welche Schulformen es überhaupt im System geben sollte. In der Enquete-Kommission konnte man sich dazu auf keine Position einigen. „Wir werden ehrlich über unser Schulsystem sprechen müssen“, prognostizierte die Grünen-Politikerin Lena Zingsheim-Zobel am Donnerstag künftige Debatten. „Wir brauchen längeres gemeinsames Lernen. Nicht sortieren, sondern zusammenbleiben.“ Aber: „Das ist ein dickes Brett.“ Die SPD hat bereits den Vorschlag vorgelegt, Haupt-, Sekundar- und Realschulen zu verschmelzen und nur Gymnasien und Gesamtschulen daneben zu erhalten.
Noch offenen Fragen
Erste Reaktionen aus der Bildungslandschaft zum Enquete-Bericht fielen differenziert aus. Vom Philologenverband hieß es, er enthalte „gute Ansätze“. Doch „zentrale Fragen“ blieben offen, so die Landeschefin Sabine Mistler. Etwa dazu, wie Standards und Vergleichbarkeit gesichert und „die zahlreichen neuen Aufgaben ohne zusätzliche Ressourcen realisiert werden“ sollten.
Die Landeschefin der Gewerkschaft GEW, Ayla Celik, lobte das Augenmerk auf Kitas, Grundschulen und Ganztag, aber gerade da müsse die Landesregierung noch Hausaufgaben machen. Die Reform des Kinderbildungsgesetzes, „der Wegfall von Förderstunden in der Grundschule, die Abwanderung von Lehrkräften an Gymnasien infolge der G8/G9-Umstellung und das fehlende Landesausführungsgesetz zum Ganztag stehen den Empfehlungen der Kommission deutlich entgegen“, sagte sie.
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