Samstag, 9. Februar 2019

Türkisch oder Englisch?

Düsseldorf. Englisch hatte es als Fach an den Grundschulen noch nie leicht. Seit 16 Jahren wird es in Nordrhein-Westfalen unterrichtet. Anfangs probeweise für die Klassen drei und vier, 2008 von der damaligen schwarz-gelben Regierung ausgeweitet auf die Klassen eins und zwei. Zum Start des Projekts gab es zu wenige Lehrer. Psychologen und Elternvertretungen gingen auf die Barrikaden, weil sie fürchteten, dass die Kinder durch das neue Fach überfordert werden könnten. Noch heute ist der Fremdsprachenunterricht an Grundschulen umstritten.
Der Vorsitzende des NRW-Landesintegrationsrats, Tayfun Keltek, hat die Debatte nun neu entflammt. Keltek sprach sich im „Kölner Stadt-Anzeiger“ dafür aus, mehr Türkisch, Polnisch und Russisch zu unterrichten. „Ich bin dafür, den Englischunterricht an Grundschulen ganz abzuschaffen – nicht nur in den ersten beiden Schuljahren“, sagte Keltek. Er plädierte dafür, mehr auf muttersprachliche Kenntnisse der Grundschulkinder zu setzen. In NRW haben 43 Prozent der Grundschüler einen Migrationshintergrund. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) erteilte Keltek eine Absage. „Es gibt bereits heute ein breites Angebot an herkunftssprachlichem Unterricht etwa in Türkisch oder Polnisch, ebenso wie einen breit gefächerten Fremdsprachenunterricht. Beides hat sich bewährt und wird auch nicht verändert.“ Englisch sei und bleibe zudem die zentrale Fremdsprache, die eine weltweite Kommunikation ermögliche.
Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) lehnte den Vorstoß ebenfalls ab: „Natürlich ist die Muttersprache wichtig. Auch integrationspolitisch. Wir stellen aber fest, dass es zunehmend Kinder gibt, die aufgrund schlechter Deutschkenntnisse dem Unterricht nicht folgen können.“ Sie plädiert dafür, dass gerade in den ersten beiden Jahren die Konzentration auf Deutsch gelegt werde. An mehreren weiterführenden Schulen können Schüler schon heute Türkisch als Fremdsprache ab Klasse sechs oder ab Klasse acht wählen. An Gymnasien und Gesamtschulen in NRW kann zudem Russisch als dritte oder vierte Fremdsprache angeboten werden. Bei der polnischen Sprache gibt es bisher keine vergleichbaren Angebote. Ob es sinnvoll ist, eine Fremdsprache schon ab der ersten Klasse zu unterrichten, ist umstritten. Forscher fanden 2017 heraus, dass Kinder, die in der ersten Klasse mit Englisch beginnen, sieben Jahre später schlechter in diesem Fach sind als Kinder, die erst in der dritten Klasse in die Fremdsprache einsteigen. Die Forscher sprachen sich nicht gänzlich gegen frühzeitigen Fremdsprachenunterricht aus. Ein früher Beginn könne helfen, Kinder für sprachliche und kulturelle Vielfalt zu sensibilisieren. Das NRW-Schulministerium neigt nicht zu Änderungen. Ministerin Gebauer will bald ihren „Masterplan Grundschule“ vorstellen. Das Vorhaben findet sich bereits im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Dort heißt es: „Gegenwärtig sind die Rahmenbedingungen für einen bestmöglichen Unterricht im Primarbereich unzureichend.“

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