Dienstag, 25. November 2025

Das Drama der arbeitslosen Jungakademiker

Schon seit Ewigkeiten geistert der Typus des arbeitslosen Akademikers als Taxifahrer mit Germanistik-Diplom durch die Medien. Es gibt ihn tatsächlich. Und nun schreckt die Bundesagentur für Arbeit mit der Nachricht auf, dass es in Deutschland einen Höchststand von 46.000 arbeitslosen Akademikern unter 30 Jahren gibt. Berufsanfänger mit frischem Bachelor finden keinen Job. Das ist noch keine Massenarbeitslosigkeit, aber trotzdem alarmierend.
Die Arbeitslosenrate bei Akademikern hat zwar überdurchschnittlich zugenommen, von 2,4 auf 2,9 Prozent. Aber trotz des Anstiegs gilt eine Quote unter drei Prozent als Vollbeschäftigung. So gesehen ist ein Studium immer noch eine sichere Bank. Doch junge Menschen, die nach ihrem ersten Abschluss problemlos einen Job zu finden glaubten, werden heute häufiger enttäuscht als zu Beginn der Corona-Krise. Da lag die Arbeitslosenquote für Akademiker noch bei 2,1 Prozent. Und: Der prozentuale Rückgang der Nachfrage ist höher als in anderen Sparten. 
Das gilt freilich nicht für alle Bereiche. Wer Medizin und auf Lehramt studiert oder sich für Verwaltungsberufe qualifiziert hat, muss sich keine Sorgen machen. Ein Anthropologe hatte aber schon immer schlechtere Karten, in seinem Feld ist mit fast zehn Prozent die Arbeitslosigkeit am höchsten. Doch auch auf Feldern wie Mediengestaltung, Werbung und Marketing, in den Geistes- und Sozialwissenschaften liegt die Arbeitslosigkeit zwischen sechs und sieben Prozent. Am höchsten ist sie in den Naturwissenschaften mit über acht Prozent. 
Der Anstieg bei Akademikern trifft auch junge Bewerber, die schon Praktika gemacht, als Werkstudenten gearbeitet oder ein duales Studium durchgezogen haben. Die größte Frustration löst bei den Jobsuchenden aus, dass man ihre Bewerbungen “ghosted”, dass sie also nicht einmal beantwortet werden. Ob das auch bei uns wie in den USA an Bots liegt, die mechanisch aussortieren, was nicht in ihr Schema passt? Dort schreiben die Bewerber bereits KI-generierte Bewerbungen, die auf einen Roboter-Rekrutierer passend zugeschnitten sind. Vielleicht treffen sie bei der zwanzigsten Online-Bewerbung dann doch auf eine menschliche Stimme. Willkommen in der nicht so schönen, neuen KI-Welt. 
Was läuft falsch? Ist es die Fächerwahl, die Vorbereitung, sind es die überzogenen Vorstellungen von der Life-Work-Balance? Oder ist es die Krise, in der Amazon Tausende Stellen streicht, während die KI immer mehr Jobs zu vernichten droht? Junge Leute berichten von Absagen mit der Begründung mangelnder Erfahrung. Woher sollen Studenten diese Erfahrung aus dem Hörsaal mitbringen? Früher wurde der Anfänger im Erstjob angeleitet, wo seine theoretischen Kenntnisse an der Wirklichkeit gemessen wurden. Heute werden oft nicht einmal die Trainees übernommen. Solche Stellen führten einst zuverlässig in die Festanstellung. 

Wir leben in einer Zeit höchster Beschleunigung und bauen auf ein System, das trotz ständiger Reformerei der wirtschaftlichen Wirklichkeit hinterherhinkt. 

Wann war es je die Aufgabe der Hochschule, gute Arbeitskräfte zu produzieren? Die Universität sollte aus den jungen Studenten gebildete Menschen formen. Die Universität war eben keine gehobene Berufsschule, wenn auch Jura oder Medizin das probate Handwerk lehren. Wir leben in einer Zeit höchster Beschleunigung und bauen auf ein System, das trotz ständiger Reformerei der wirtschaftlichen Wirklichkeit hinterherhinkt. Diese und die nächste Generation braucht kein beschleunigtes Jobtraining, sondern die einzigartigen menschlichen Fähigkeiten, die keine KI je reproduzieren kann: Bewusstsein, Werte und Urteilsvermögen. 
Seit drei Jahren schwächelt die Konjunktur. Allein in der Autoindustrie gingen in den letzten zwölf Monaten mehr als 50’000 Jobs verloren. Dazu kommt die wachsende Abwanderung von Unternehmen. Solche Faktoren jenseits der besten Ausbildung erklären, warum Firmen zögerlicher einstellen als noch vor ein, zwei Jahren. Ein Paradox: Ausgerechnet IT-Berufe leiden. Programmieren, Datenanalyse, Systemadministration – gestern noch zukunftsfest – werden heute durch KI ersetzt. 
Ohne Aussicht auf einen Job wählen Studenten häufig den Weg der nächsthöheren Qualifikation. Ebenso können viele Einstiegstätigkeiten von Uni-Absolventen heute durch Bots übernommen werden. So mancher Absolvent muss sich von seinen Wunschvorstellungen verabschieden. Im Gesundheitswesen und in der Pflege steigt die Zahl der Stellen. Freilich will ein qualifizierter Programmierer nicht unbedingt “personennahe Dienste” übernehmen. Wenn Stellenausschreibungen sinken (um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr), steigen die Anforderungen an die Berufsanfänger. Also dann doch lieber das dritte schlecht bezahlte Praktikum? 

Händeringende Suche nach Handwerkern und Könnern im Gesundheits- und Sozialwesen 

Ohne Aussicht auf einen Job wählen Studenten häufig den Weg der nächsthöheren Qualifikation, den Master oder die Promotion. Aber wird der nicht nachgefragte Historiker durch einen MA oder einen Dr. phil. bessere Aussichten auf einen Job haben? Sollte er nicht lieber auf Lehramt umsatteln, wo Leute fehlen? Die Unternehmen mögen unter dem Mangel an Fachkräften leiden, aber die finden sich unter den Absolventen von Gender- oder Frauenstudien nicht. Gesucht werden händeringend Handwerker, Könner im Gesundheits- und Sozialwesen. 
Die letzten Schuljahre im Gymnasium wären der Ort, wo Arbeitsmarktexperten die Schüler einen realen Blick auf die Arbeitsmarktlage lehren könnten. Das knappe Drittel an Studienabbrechern ließe sich so senken. In Amerika überlegen die High Schools, den “Shop” wieder einzuführen, der weit mehr als unser Werkunterricht war. 

Das Problem zu vieler falsch qualifizierter Studenten bleibt. Darauf haben Schulen und Universitäten noch keine Antwort gefunden

Gibt es Trost für die jungen Arbeitssuchenden? Hochqualifizierte bleiben nicht sehr lange arbeitslos. Über 60 Prozent sind meistens nach einem halben Jahr in Lohn und Brot. Da der Jungakademiker dann aber häufig nimmt, was er kriegen kann, ist er oft bald enttäuscht – und wieder draußen. Er fühlt sich unter- oder überfordert. Oder er ist frustriert, weil die richtige Work-Life-Balance fehlt, die dieser Generation so wichtig ist. Das Problem zu vieler falsch qualifizierter Studenten bleibt. Darauf haben Schulen und Universitäten noch keine Antwort gefunden.
Keine Lösung ist, was die Datenfirma Palantir versucht. Nach dem Motto “Die Uni ist kaputt” heuert sie ambitionierte High-School-Absolventen an. Sie gibt den 18-jährigen jungen Leuten vier Wochen lang Seminare – und dann ab ins Geschäft. Der Reiz ist, dass die Jungen so diesseits der Uni reüssieren. Der Nachteil: Bei einem solchen Turbo-Facharbeitertum werden Bewusstsein, Werte und Urteilsvermögen (siehe oben) weniger gefördert oder gefordert. Sie aber sollten das Ziel zumindest an den guten Universitäten sein.

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