Frankfurt – „Ich bin fassungslos und entsetzt“, schreibt Adriana Petrosa unter ein TikTok-Video, in dem sie erzählt, dass sie heute einen Anruf von der Spanischlehrerin ihrer Tochter erhalten habe. Der Grund für den Anruf: Die Siebtklässlerin habe eine Drei im ersten Spanisch-Vokabeltest gehabt. Die Lehrerin habe ihr deswegen geraten, ihre Tochter in den Französischkurs wechseln zu lassen.
Nicht nur wegen der Drei im Vokabeltest, sondern auch weil ihre Tochter in Mathematik und Deutsch auch eine Drei habe. Sie habe ihr gesagt, dass Kinder mit der Note Drei in Hauptfächern ihrer Erfahrung nach schnell dazu neigten, „Dinge aufzugeben und abzubrechen“. Im Französischkurs seien weniger Schüler, da könne ihr Kind doch besser betreut werden. 
Schulnoten in Deutschland: Was eine Mutter „ganz, ganz traurig“ findet 
Pedrosa ist empört über den Anruf. „Eine Drei ist doch eine gute Note!“, sagt sie mehrmals. Sie sei stolz auf die Tochter nach vier Spanischstunden so eine Note zu haben. Sie ärgert sich, dass die Lehrerin sie fragt, ob sie denn mit ihrer Tochter lerne – dafür habe sie als berufstätige Mutter kaum Zeit. „Ich möchte bitte, dass wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben und eine Drei keine schlechte Note ist!“ Sie finde es „echt unfassbar“ und „ganz, ganz traurig, dass Kindern von den Lehrern vermittelt wird, dass sie dumm sind, wenn sie eine Drei schreiben.“ 
Mit ihrem Video entfacht Pedrosa Diskussionen über das deutsche Notensystem. Offiziell gilt eine Drei als „befriedigend“, eine Zwei als „gut“ und eine Eins als „sehr gut“. „Seit wann ist eine Drei eine gute Note?“, fragt eine Person kritisch in den TikTok-Kommentaren. Andere unterstützen die Mutter: „Eine Drei ist gut. Eine Drei bedeutet, dass sie das Grundlegende verstanden hat und es einfach noch nicht vertieft hat. Verstehe solche Lehrer nicht“, kommentiert eine Nutzerin. 
„Die Kultusministerkonferenz hat 1968 die Note Drei eigentlich klar definiert als Bewertung, wenn die schulische Leistung den Anforderungen im Allgemeinen entspricht“, sagt der Erziehungswissenschaftler und Bildungsforscher Professor Hans Brügelmann BuzzFeed News Deutschland von Ippen.Media. Bei gutem Unterricht, also pädagogischem Erfolg, könnte das bedeuten, dass es keine Note unter einer Drei gebe. Das Problem sei, dass viele Lehrkräfte eine Drei dann als schlecht einordnen würden. 
Bildungsforscher über Notensystem – „Leistung ist nicht dasselbe wie in der Wirtschaft“ 
„In vielen Köpfen schwirrt die Vorstellung von einer Normalverteilung“, sagt Brügelmann. Viele Lehrkräfte würden Noten im Vergleich mit den Leistungen anderer Schüler vergeben. An diesem Notensystem übt der Bildungsforscher scharfe Kritik: „Leistung ist in pädagogischer Perspektive nicht dasselbe wie in der Wirtschaft, wo der Markt nach dem Vergleich konkurrierender Angebote über den Wert einer Leistung entscheidet – egal, unter welchen Bedingungen diese entstanden ist.“
In der Schule würden nicht Leistungen in selbst gewählten Spezialgebieten bewertet, sondern die Aneignung von Grundbildung. 
Kinder kämen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und lernten unter unterschiedlichen Bedingungen (zum Beispiel je nach Elternhaus oder Veranlagung). „Bewertet man die gleiche Arbeit mit der gleichen Note, wäre das so, als ließe man bei einem 50-Meter-Lauf, den einen bei 75 Meter starten und die andere bei 25, den einen auf einer Sandbahn laufen, die andere auf einer Tartanbahn.Die eine wird belohnt, selbst wenn sie ihr Potenzial kaum ausgeschöpft hat, der andere wird gedemütigt, selbst wenn er sich sehr angestrengt und auch große Fortschritte gemacht hat. Insofern ist eine entwicklungsbezogene Bewertung gerechter und motivierender“, sagt er BuzzFeed News Deutschland, zum Beispiel durch Entwicklungsberichte, Kompetenzraster oder Lerngespräche. Der Pädagoge unterstützt die Forderungen des bundesweiten „Bürgerrats Bildung und Lernen“, keine Ziffernoten bis Klasse Neun einzuführen. 
Wie Eltern und Lehrer mit Noten umgehen sollten 
Der Fall der Siebtklässlerin zeigt die Problematik des deutschen Notensystems deutlich: Nach nur vier Spanischstunden, von denen ihre Tochter übrigens einige aufgrund einer Zahn-OP verpasst habe, wurde der erste Vokabeltest geschrieben. Die Note drei spiegelt unter diesen Umständen eine solide Leistung wider – nicht das Scheitern, das die Spanischlehrerin zu befürchten scheint.
Pedrosas Verhalten ist in diesem Fall also mehr als richtig, findet Brügelmann: „Solange es trotz der bekannten Mängel immer noch Noten gibt, ist zentral, dass die Kinder von den Erwachsenen nicht auf diese Kürzel reduziert werden: Sie müssen wissen und fühlen, dass sie als Person wichtig sind und von ihren Eltern und Lehrkräften auch so geschätzt werden“, sagt er BuzzFeed News Deutschland. Erwachsene sollten mit ihnen „jeden Fortschritt feiern, Schwierigkeiten konkret benennen und gemeinsam überlegen, wie man sie überwinden kann“.
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