Freitag, 24. Januar 2025

Umfrage: Gewalt an Schulen ist keine Ausnahme mehr

Zwei Drittel der Schulleiter berichten, dass die Gewalt an ihrer Schule gestiegen sei. Die Täter körperlicher Attacken sind meist Schüler, psychische Übergriffe üben vor allem Eltern aus. Zunehmend werden auch schulfremde Personen gewalttätig. Viele Schulbehörden versuchen, die Vorfälle unter den Teppich zu kehren. 
Gewalt an Schulen ist keine Ausnahme mehr – und zunehmend gehören Lehrer zu den Opfern. Das belegen neue Zahlen. Laut einer repräsentativen Umfrage des Lehrerverbandes VBE geben 60 Prozent der Schulleiter an, dass die Gewalt an ihren Schulen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sei. Besonders häufig kommt sie an Haupt-, Real- und Gesamtschulen vor – hier sagten sogar 74 Prozent der Schulleiter, dass die Gewalt zunehme. Nicht nur Schüler unter sich werden gewalttätig, sondern sie greifen auch Lehrkräfte an.
65 der Schulleiter berichteten, dass Lehrkräfte in den vergangenen fünf Jahren an ihrer Schule direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. 35 Prozent gaben an, dass Kollegen körperlich attackiert wurden, 36 Prozent wurden über das Internet diffamiert, belästigt, bedrängt, bedroht oder genötigt. 
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) erfragt die Angaben zu Gewalt in der Schule alle zwei Jahre. Dieses Mal machten 1311 Schulleiter telefonische Aussagen oder gaben ihre Einschätzungen in einem Online-Fragebogen an. „Die Zahlen bestätigen, was wir aus täglichen Gesprächen mit Lehrern und Schulleitern erfahren“, sagte der VBE-Vorsitzende Gerhard Brand, langjähriger Schulleiter einer Grund- und Realschule in Baden-Württemberg. „Konflikte eskalieren schneller, es kommt regelmäßig zu Grenzüberschreitungen, der Respekt gegenüber Lehrern nimmt kontinuierlich ab. Besonders junge Lehrkräfte berichten uns, dass sie sich völlig unzureichend auf diese Aggressionen vorbereitet fühlen.“ In Brennpunktschulen seien mittlerweile täglich Polizeibeamte im Haus. 
Die Zahlen belegen das. Bedrohungen und Beleidigungen gegen Lehrer sind in den vergangenen sechs Jahren von 48 auf 65 Prozent, die körperlichen Angriffe von 26 auf 35 Prozent gestiegen. „Was früher noch als Kavaliersdelikt verharmlost wurde, wird mittlerweile klar als Gewalt benannt“, vermutet Brand. „Insbesondere junge Schulleitungen gehen sensibler mit dem Thema Gewalt um.“ 
In 97 Prozent der Fälle von körperlichen Angriffen waren Schüler die Täter. Die psychische Gewalt ging hingegen vor allem von Eltern aus (79 Prozent). In elf Prozent der Schulen griffen Erwachsene ohne jegliche Verbindung zur Schule Lehrkräfte an. 

„Lehrer sollen die Klappe halten“ 
Brand schildert einen Vorfall, der sich jüngst an einer ländlichen Grundschule in Baden-Württemberg abspielte: Eine Mutter wollte mit ihrem Kind durch die Pforte gehen und es zum Klassenzimmer begleiten, ein Lehrer machte sie darauf aufmerksam, dass das Kind allein weitergehen sollte. Die Mutter bestand darauf, eingelassen zu werden, der Lehrer versperrte ihr den Weg. „Das werden Sie noch bereuen!“, drohte die Mutter. Wenig später betrat ihr Mann das Schulgelände – der Lehrer hatte Hofaufsicht – und sprang ihm von hinten in den Rücken. 
Dieser landete im Dreck. Der Vater beschimpfte ihn noch und schlug ihn. Der Lehrer holte dann die Schulleitung. Letztendlich verlief der Fall im Sande. Der Lehrer erstattete keine Anzeige – vermutlich, so mutmaßt Brand, aus Angst, das pädagogische Klima zu gefährden. 
„Es müsste hier automatisch vom Schulamt Anzeige erhoben werden“, fordert Brand, wie es bei Gewalt gegen einen Polizeibeamten etwa üblich sei. „Lehrer müssen privat Anzeige erstatten, und das ist ein großes Versäumnis des Dienstherren, der es nicht schafft, seine Angestellten zu schützen.“ Die Schulbehörden jedoch hätten Angst vor Reputationsverlust, sobald ein Gewaltvorwurf im Raum stehe.
Viele Schulleiter fühlen sich hilflos. Auch das zeigen die Zahlen. Etwas mehr als ein Viertel gibt an, die Kollegen nicht ausreichend gegen Gewalt in Schutz nehmen zu können (27 Prozent). Man scheitere vor allem an uneinsichtigen Schülern (74 Prozent) und kooperationsunwilligen Eltern (71 Prozent). Eine große Mehrheit der Schulen wünschen sich eine engere Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen wie der Polizei (77 Prozent) sowie eine größere Transparenz. Fast die Hälfte gibt an, dass Gewalt gegen Lehrkräfte tabuisiert und nicht offen angesprochen werde (47 Prozent). Und fast ein Fünftel berichtet, dass die Meldung von Gewaltvorfällen seitens der Schulbehörde nicht gewünscht sei.
Dies zeigt sich offenbar auch im Fall der Rektorin der Berliner Bergius-Schule. Die Direktorin war vor zwei Tagen plötzlich abberufen worden und bekam die Aufforderung, ihr Büro bereits am kommenden Tag zu räumen. Zwei Monate zuvor hatte sie einen Hilferuf an die Schulaufsicht unterschrieben, in dem sie über massive Verhaltensauffälligkeiten der Schüler berichtet hatte sowie ungebührliches und asoziales Verhalten auch den Lehrern gegenüber. „Das ist ein klares Signal“, sagte der Gesamtelternsprecher über die abrupte Kündigung: „Lehrer sollen die Klappe halten.“

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