Kassel – Heutige Grundschüler lesen im Durchschnitt schlechter als früher. Diesen Negativtrend beobachten Lehrkräfte der Region, unter anderem die Kasseler Grundschullehrerin Christiane Stock.
Ihre Schilderungen gegenüber unserer Zeitung bestätigen die Ergebnisse bundesweiter Untersuchungen aus den vergangenen Jahren. Die Iglu-Studie, die alle fünf Jahre veröffentlicht wird, zeigt zum Beispiel, dass im Jahr 2021 etwa 25 Prozent der Viertklässler nicht den Mindeststandard beim Lesen erreichten, der laut Studie für ein weiterhin erfolgreiches Lernen erforderlich ist. Fünf Jahre zuvor betraf dies nur 19 Prozent der Viertklässler.
Christiane Stock, die auch für die Bildungsgewerkschaft GEW tätig ist, sagt, sie und andere Lehrkräfte, mit denen sie im Austausch steht, würden „fast täglich“ vor Augen geführt bekommen, dass die Lesekompetenz bei Schülern abgenommen habe. Gerade in den vergangenen fünf bis zehn Jahren sei die Entwicklung auffällig gewesen. „Arbeitsmaterialien, die vor einigen Jahren noch für einen Großteil der Kinder kein Problem waren, sind jetzt zu schwierig und müssen geändert werden.“
Medien möglicher Grund für schlechte Lesekompetenz
Die Gründe dafür sieht Christiane Stock nicht nur in den Folgen der Pandemie, sondern insbesondere im starken Medienkonsum vieler Kinder. Es zeige sich: „Die Kinder kommen mit einem geringeren Wortschatz in die Schule.“ Nicht alle wüssten zum Beispiel, was ein Wal ist. Aus Sicht der GEW-Vertreterin zeige sich aber auch: „In Familien, die sich Zeit nehmen und die mit ihrem Kind in ständigem Gespräch sind, ist natürlich auch der Wortschatz da.“
Schulamtsleiterin Annette Knieling sagt: „Die Beobachtung, dass die Sprach- und Lesekompetenzen der Kinder und Jugendlichen schlechter werden, ist seit Jahren da, bleibt aber nicht unbearbeitet stehen. In Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium machen wir sehr viel, um hier gegenzusteuern.“ Beispielsweise sei in Hessen für Zweit- bis Viertklässler eine zusätzliche Deutschstunde eingeführt worden.
Negativtrend schon vor der Pandemie
Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) bewertet mithilfe eines Punktesystems alle fünf Jahre die Lesekompetenz der Viertklässler in Deutschland. Im Jahr 2021 lag die durchschnittliche Punktzahl bei 524. Verglichen mit der Ausgangserhebung im Jahr 2001 (539 Punkte) und allen anderen Erhebungen (2006: 548 Punkte, 2011: 541 Punkte, 2016: 537 Punkte) sind die Leistungen der Schüler laut Studie signifikant gesunken.
Schüler beim Lesenlernen zu unterstützen, hat sich zudem der Verein Leselernhelfer Nordhessen vorgenommen. Mitglieder gehen seit 2020 als sogenannte Lesementoren an Schulen in Nordhessen, um dort in Eins-zu-eins-Betreuung mit den Kindern zu lernen. Christa Joedt, Vorstandsmitglied der Leselernhelfer Nordhessen, sagt: „Nicht für alle Kinder ist das, was sie in Schule und Familie an Trainingsmöglichkeiten erfahren, ausreichend, um Lesen zu lernen.“ Aus diesem Grund sei die Arbeit der ehrenamtlichen Leselernhelfer wichtig. Zunehmend werde der Verein auch für Schüler weiterführender Schulen angefragt. Das Konzept sei aber insbesondere auf Grundschüler ausgerichtet, sagt Christa Joedt.
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