Mittwoch, 9. April 2025

Zwischen Schule und Ausbildung: Ein teurer Reparaturbetrieb

Etwa 250.000 Jugendlichen gelingt jedes Jahr nach dem Ende der Schulzeit der Übergang in die berufliche Ausbildung nicht. Die meisten von ihnen landen im sogenannten Übergangssystem. Denn die fachlichen und überfachlichen Fähigkeiten haben in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen, das stellt auch die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz fest, die am Dienstag ihre Empfehlungen zur Sekundarstufe I veröffentlicht hat. Jugendliche im Übergangssystem beginnen ihre Ausbildung also mit erheblicher Verzögerung und sind in ihrer Berufswahl stark eingeschränkt. 
Das Übergangssystem ist ein teures Nach­hol­system für schulische Fertigkeiten und Fähigkeiten, das bei etwa 40 Prozent der Jugendlichen nach einem Jahr zu einem Abschluss führt. Andere brauchen drei Jahre, dann schaffen 62 Prozent ein Zertifikat. Viele junge Leute mit Migrationshintergrund gelangen ins Übergangssystem, weil es ihnen an Deutschkenntnissen fehlt, andere haben eine begonnene Ausbildung abgebrochen. Die Datenlage dazu ist in den Ländern sehr unterschiedlich. 
„Der Übergangssektor steht wie kein anderer Bildungsbereich für die Schwierigkeiten junger Menschen, von der Schule in eine berufliche Ausbildung zu wechseln“, sagt die Professorin für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung an der Georg-August-Universität Göttingen, Susan Seeber. Sie ist Mitglied der SWK. Eigentlich wisse man viel zu wenig über das Übergangssystem. Häufig werde auch viel zu wenig gefragt, was der einzelne Jugendliche eigentlich brauche. Einen Jugendlichen, der wegen Schulschwänzen im Übergangssystem sei, wieder in schulische Ablaufstrukturen zu stecken, sei nicht erfolgreich. Hier könnten zunächst praktische Tätigkeiten helfen. 
Vor allem Hamburg, Berlin, Hessen und Baden-Württemberg setzten verstärkt auf dualisierte Angebote. Das bedeutet, dass ein Teil der Ausbildung im Betrieb und ein Teil in der Berufsschule absolviert wird. Im Unterschied zur dualen Ausbildung bleibt die Berufsvorbereitung aber durchgehend in der Verantwortung der Schulen, auch in den praktischen Phasen. 

Fähigkeiten für eine Berufsausbildung 
Die SWK stellt allerdings fest, dass der Übergangssektor trotz vieler Reformen und Neuausrichtungen mit Blick auf Organisation, Ziele, Curricula, Stundentafeln, Umfang und praktische Lernphasen in den Ländern ganz unterschiedlich ausgestaltet ist. Die Anzahl der in einer Woche erteilten Mathematik- und Deutschstunden schwankt zwischen einer und fünf Stunden. Die individuelle Entwicklung und Identitätsfindung komme zu kurz. In dem zweihundert Seiten umfassenden Gutachten zur Sekundarstufe I hält die SWK fest, was Jugendliche eigentlich können müssen, um einen Schulabschluss zu bekommen und eine berufliche Erstausbildung zu beginnen. „Ein motivierender Unterricht, der die Kompetenzentwicklung in den Fokus rückt, wirkt sich sehr positiv aus“, sagt der Ko-Vorsitzende der SWK, Olaf Köller. 
Welche Fähigkeiten Schüler am Ende der Grundschule beherrschen müssen, hat die SWK bereits in einem eigenen Text beschrieben. Ergänzend zu den Fächern Deutsch und Mathematik gehören für die Sekundarstufe I auch die Naturwissenschaften und Englisch zu den Grundlagen, aber auch überfachliche Kompetenzen wie der Umgang mit digitalen Informationen und Geräten, selbst reguliertes Lernen, Identitätsentwicklung und Berufsorientierung. Um sich nicht wieder dem Vorwurf auszusetzen, die ästhetische Bildung zu vernachlässigen, hat die SWK hinzugefügt, dass der schulische Bildungsauftrag auch Kunst, Musik, Sport und Politik umfasse. In den letzten Jahren haben allerdings die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen erheblich abgenommen. 

Lesen, Schreiben und Rechnen fördern 
Besonderes Augenmerk will die SWK auf die Jugendlichen richten, die womöglich die Mindeststandards in der Primarstufe nicht erreichen. Das sind Schüler im unteren Leistungsbereich, Schüler aus soziokulturell und sozioökonomisch schwachen Familien, Schüler mit familiärer Migrationsgeschichte oder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Sie hat deshalb sechs zentrale Empfehlungen ausgesprochen, die im Gutachten ausführlich begründet werden. 
Zum einen sollen die unabdingbaren funktionalen Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I klar definiert werden. Gemeint ist damit, dass Schüler eine Prozentaufgabe auch dann erkennen und lösen können sollen, wenn sie anders aufgebaut ist als im Lehrbuch oder im Unterricht. Das ist häufig nicht der Fall. 
Für die Mathematikdidaktikerin Susanne Prediger von der TU Dortmund, ebenfalls Mitglied der SWK, umfassen die funktionalen Kompetenzen weit mehr als Faktenwissen. Sie bestünden vielmehr im flexiblen Umgang mit Wissensbeständen mit allen Werkzeugen, die dazu zur Verfügung stehen, und dem intelligenten Reflektieren darüber. Gerade bei den leistungsschwächeren Jugendlichen würden häufig die falschen Prioritäten gesetzt, weshalb Prediger eine Fokussierung auf das Wichtigste für nötig hält. „Wenn die Basiskompetenzen nicht sitzen, erscheint jeder weitere Lernschritt als Überforderung“, sagt die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) für die Bildungsministerkonferenz. 
Die basalen Kompetenzen (sicheres Lesen, Rechnen und Schreiben), die eigentlich am Ende der Primarstufe beherrscht werden sollten, aber von vielen nicht erreicht werden, sollen ebenso wie die funktionalen Kompetenzen alle zwei Jahre überprüft werden. Außerdem soll der Fachunterricht so aufgebaut werden, dass beide Kompetenzen erreicht werden. Schüler im unteren Leistungsbereich sollen durch klug vorstrukturierte, unterrichtsintegrierte und additive Förderangebote mit hoher didaktischer Treffsicherheit gefördert werden. In der Lehrkräfteaus- und -fortbildung soll das Konzept der basalen und funktionalen Kompetenzen berücksichtigt werden.

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