Mittwoch, 6. Dezember 2023

Ob Mathe oder Lesen – Schüler in Deutschland schneiden in Pisa-Studie schlechter denn je ab

Wer zuletzt den Niedergang der deutschen Bildungsrepublik beklagt hat, dürfte sich nun bestätigt fühlen: Noch nie in der Geschichte der Pisa-Studie, die seit 2000 alle drei Jahre neue Daten erhebt, waren die Leistungen 15-jähriger Schüler in Deutschland so schlecht wie im vergangenen Jahr. Das gilt für alle drei gemessenen Bereiche: Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften. 
Besonders mangelhaft sind die Leistungen der Schüler in Mathematik: 30 Prozent der 15-Jährigen gelten als leistungsschwach und vermögen es nicht einmal zu erkennen, wie eine einfache Situation mathematisch dargestellt werden kann. Es ist ihnen etwa nicht möglich, die Gesamtlänge zweier alternativer Routen zu vergleichen oder Preise in eine andere Währung umzurechnen. Der Anteil dieser leistungsschwachen Schüler hat sich in den vergangenen zehn Jahren um zwölf Prozentpunkte erhöht. 
Beim Lesen sieht es nicht viel besser aus: 25 Prozent der 15-Jährigen lesen nur schwach; sie können weder die Hauptaussage eines mittellangen Textes erfassen, noch nach bestimmten Kriterien entsprechende Informationen aus dem Text herausfiltern. Nur acht Prozent der Schüler lesen besonders gut und können längere Texte verstehen, mit abstrakten Konzepten umgehen und zwischen Fakten sowie Meinungen aufgrund von Hinweisen auf die Informationsquelle unterscheiden. 
Am wenigsten dramatisch sieht es noch bei den naturwissenschaftlichen Kenntnissen aus: Zehn Prozent der befragten 15-Jährigen vermögen es, ihr Wissen kreativ und selbstständig auf viele verschiedene Situationen anzuwenden. 23 Prozent der Schüler hingegen gelten auch dort als leistungsschwach; sie können bekannte naturwissenschaftliche Phänomene nicht erkennen. 
In allen drei Bereichen liegt Deutschland nur knapp über dem Durchschnitt der OECD, die rund 690.000 Schüler aus 81 Ländern befragt hat, darunter aus vielen Mitgliedstaaten und einigen Partnerländern. Besonders in den asiatischen Staaten erzielen die Schüler Spitzenleistungen. In Singapur, Japan und Südkorea erreichen Schüler in allen drei Bereichen die besten Leistungen; in Singapur etwa sind 41 Prozent der Schüler in Mathematik besonders leistungsstark und erreichen die beiden höchsten Kompetenzstufen. 
Aber auch die Leistungen der Schüler in Kanada, der Schweiz und Estland liegen deutlich über denen deutscher Schüler, ebenso wie in Polen, Österreich oder Slowenien. In der Bundesrepublik gelten gerade einmal neun Prozent in Mathematik als leistungsstark und sind in der Lage, geeignete Lösungsstrategien für komplexe mathematische Probleme auszuwählen. Schlechter als Deutschland schneiden etwa die Philippinen, Indonesien und Brasilien ab. 
Sicherlich haben Bildungsexperten angesichts des Lehrermangels und den Folgen der Corona-Krise mit einem weiteren Herabsinken der Leistungen gerechnet. Aber, dass es so schlimm wird? 

„Gute Didaktik im Unterricht reicht nicht aus“ 
"Niemand hat mit einem positiven Trend gerechnet, aber diese Abwärtsbewegung ist nun doch überraschend“, sagt Kai Maaz, Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung. Man müsse deutlich früher ansetzen, um die Situation zu verbessern, findet er. „Die Probleme, die sich in der neunten oder zehnten Klasse finden, sind ja weit vorher angelegt. Wir haben die Bedeutung der frühkindlichen Bildung noch nicht verinnerlicht. Die Schere geht innerhalb der ersten sechs Jahre auf. Schule kann das dann teilweise nicht mehr auffangen.“ Man brauche frühe Sprachstandserhebungen und anschließende obligatorische Förderung, wie es Hamburg vorbildlich eingeführt habe. 
„Wir brauchen mehr reguläre Unterrichtszeit für unsere Schüler durch den Wegfall vieler überflüssiger bürokratischer und organisatorischer Tätigkeiten, die die Lehrkräfte im Unterricht erledigen müssen“, mahnt die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing. „Wir können uns keine inhaltliche Ausdünnung der Lehramtsausbildung erlauben, wie es der Wissenschaftsrat leider erst kürzlich gerade für das so wichtige Unterrichtsfach Mathematik empfohlen hat.“ Es bedürfe einer nationalen Kraftanstrengung. 
Das legen auch die Ergebnisse der Befragungen zur Zufriedenheit der Schüler mit ihrem Leben nahe, die ebenfalls erhoben wurde. Zwölf Prozent der 15-Jährigen fühlen sich in ihrer Schule einsam; genauso viele fühlen sich als Außenseiter. 22 Prozent geben an, mit ihrem Leben nicht zufrieden zu sein, das sind immerhin fünf Prozentpunkte mehr als im OECD-Durchschnitt. 21 Prozent sind eigenen Angaben zufolge mindestens ein paar Mal pro Monat Opfer von Mobbing. „Offenbar müssen wir viele andere Dinge erst regeln, bevor wir den Unterricht qualitativ weiter verbessern“, sagt Kai Maaz, der als Professor für Soziologie Bildungssysteme an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main erforscht. „Wir müssen das, was die Schüler außerhalb des Unterrichts erleben, stärker in den Blick nehmen und schauen, welche Professionen wir dafür in der Schule brauchen. Eine gute Didaktik im Unterricht reicht nicht aus.“ 
Viele Schüler lernen offenbar in einer Atmosphäre, die für den Lernprozess nicht gerade förderlich ist. 28 Prozent geben an, nicht ungestört arbeiten zu können. 38 Prozent sagen, dass sie der Lehrkraft nicht zuhörten. Und 28 Prozent berichten von Ablenkungen durch digitale Geräte. 60 Prozent der Schüler geben zwar an, dass sich die Lehrkraft in den meisten Mathematik-Stunden für den Lernfortschritt jedes einzelnen Schülers interessiere. Das hört sich zunächst einmal gut an, bedeutet aber im Umkehrschluss, dass 40 Prozent der Schüler das Gefühl haben, dass sich der Lehrer nicht um ihr Vorankommen kümmere. 
Offenbar gibt es also auch bei der Didaktik noch Luft nach oben. Zudem bestätigen die neuesten Erhebungen, wie stark sich die Zusammensetzung der Schüler allein in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund hat sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Im vergangenen Jahr betrug er 26 Prozent. Mehr als ein Viertel der 15-jährigen Schüler ist also entweder außerhalb des Erhebungslandes geboren, oder die Eltern sind in einem anderen Land zur Welt gekommen. „Natürlich ist es für die Lehrperson eine immens große Herausforderung, wenn ein Großteil der Schülerschaft Deutsch als Unterrichtssprache nicht verfolgen kann“, gibt Maaz zu bedenken und verweist wieder auf die Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung. Aber er gibt zu: Auch das könne nur ein Ansatz von mehreren sein.

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