Montag, 4. Dezember 2023

Kinder und Jugendliche werden immer dicker und schwächer

Forscher der TU Liberec haben in einer international einmaligen Studie 4.500 Jugendliche sowie ihre Leistungen vermessen und mit Daten von vor 100 Jahren verglichen. Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend. "Unsere Kinder und Jugendlichen zeigen zwar eine ähnliche körperliche Kondition wie ihre Altersgenossen im Jahr 1923", sagt Lukas Rubin, Wissenschaftler der Technischen Universität Liberec und Mitverfasser einer neuen Studie. "Doch das ist keine positive Nachricht." 
Denn die Kinder und Jugendlichen sind heute viel größer und schwerer, müssten also schon allein deswegen viel kräftiger als die vor 100 Jahren sein. Doch das Gegenteil ist der Fall: Nach Jahrzehnten der Verbesserung lässt das Leistungsvermögen der Jugend schon eine ganze Weile wieder nach. Und droht, unter das Niveau von 1923 zu sinken. 
Diese Erkenntnisse sind das Kern-Ergebnis einer international einmaligen Studie von Forschern der TU Liberec (Reichenberg). Sie wiederholten im Frühjahr eine Untersuchung, die vor 100 Jahren an 80 tschechischen und 17 slowakischen Schulen mit Schülern im Alter von 11 bis 19 Jahren durchgeführt wurde. Die Akademiker hielten sich weitestgehend an die Methodik von Emanuel Roubal, einem bekannten Turner, und seinem Sohn, dem Arzt Jan Roubal, aus dem Jahr 1923. Sie vermaßen die Kinder und Jugendlichen sowie ihre sportlichen Leistungen. Dieses Mal wurden 4.500 Schüler im gleichen Alter von 15 Gymnasien in Tschechien - darunter vom deutschsprachigen F. X. Šalda-Gymnasium in Liberec - und fünf Schulen in der Slowakei untersucht. 
Einige der Tests mussten allerdings an die heutigen Bedingungen angepasst werden. "Zum Beispiel waren 1923 im Gegensatz zu heute Speer- und Diskuswurf in den Schulen üblich", sagt Forscher Lukáš Rubín, der auch den "Nationalen Bericht über die körperliche Aktivität der tschechischen Kinder und Jugendlichen" erstellt. Jetzt wurden die Schüler in fünf Disziplinen getestet: im Weitsprung aus dem Stand, im Ballweitwurf, in Beugestütze und auf Schnelligkeit sowie Ausdauer beim Laufen. 
Im Einzelnen stellten die Forscher fest, dass die junge Generation heute im Durchschnitt 13 Zentimeter größer und fast zehn Kilogramm schwerer als die damalige ist. In Tschechien stagniert die Zunahme der Körpergröße seit etwa 20 Jahren. "In Deutschland ist das schon seit 30 Jahren so", sagt Rubín. Die schnellere Entwicklung und das frühere Ende begründen sich seiner Ansicht nach mit dem damals günstigeren sozialen Klima beim großen Nachbarn im Norden. Insbesondere die Ernährung und die Gesundheitsversorgung waren - vor allem in Westdeutschland - besser. 
Anders ist das beim Gewicht: Die Kinder und Jugendlichen werden weiterhin dicker - im Durchschnitt. Vor 100 Jahren gab es nicht so viele extrem dicke und extrem dünne Mädchen und Jungen. Die Altersgruppe war wesentlich homogener. 
Das trifft auch auf die sportliche Leistungsfähigkeit zu. "Die Zahl der körperlich Untrainierten hat wesentlich zugenommen", sagt Aleš Suchomel, Leiter des Lehrstuhls für Sportunterricht an der TU und Experte der Studie. „Manche waren nicht imstande, mit einem Ball 15 Meter weit zu werfen“, sagte der Rubín. "Vermutlich haben einige während der Tests zum ersten Mal überhaupt einen Ball geworfen." Andere dagegen sind durchtrainiert. 
Insgesamt sind Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit der Kinder und Jugendlichen nach 1923 deutlich besser geworden. Doch schon vor Jahrzehnten kehrte sich der Trend um. "Im Durchschnitt befinden wir uns bei den motorischen Fähigkeiten ungefähr auf dem Niveau von 1923", sagt Suchomel. Würden die Messungen in einigen Jahren noch mal wiederholt, wären sie sehr wahrscheinlich schlechter als im Vergleich mit 1923. 
Er zieht aus den Ergebnissen der Studie einen Schluss. "Diejenigen, die die Zusammenhänge erkennen können, wissen sehr gut, was da droht“, warnt er. Die Zahl der Fälle von Zivilisationskrankheiten könnte weiter steigen. Früher starben die Menschen an Infektionen, heute vor allem durch Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, also an Krankheiten, die mit dem Bewegungsmangel einhergehen. 

Ergebnisse in Zahlen:
 
Körpergröße 18-jährige Mädchen (Durchschnitt) 
1923: 158,1 Zentimeter
2023: 167,7 Zentimeter 

Körpergröße 18-jährige Jungen (Durchschnitt) 
1923: 170,4 Zentimeter 
2023: 180,2 Zentimeter 

Körpergewicht 18-jährige Mädchen 
1923: 56,3 Kilogramm 
2023: 62,9 Kilogramm 

Körpergewicht 18-jährigen Jungen 
1923: 62,5 Kilogramm 
2023: 73,2 Kilogramm 

50 Meter-Lauf, 12-jährige Jungen 
1923: 9,6 Sekunden 
2023: 8,8 Sekunden 

Sprung aus dem Stand, 15-jährige Jungen 
1923: 192,3 Zentimeter 
2023: 215 Zentimeter 

Anzahl Beugestütze, 11-jährige Jungen 
1923: drei 
2023: einer Anzahl 

Beugestütze, 18-jährige Jungen 
1923: zehn 
2023: sieben 

Ballwurf, 19-jährige Jungen 
1923: 57,3 Meter 
2023: 36,5 Meter 

 Ausdauer-Rennen, 19-jährige Jungen 
1923: 2.219 Meter 
2023: 1.990 Meter

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