Freitag, 27. Dezember 2024

Bildung in Deutschland: Eine Generation von Bildungsverlierern wächst heran

Immer mehr junge Menschen verlieren in Deutschland wegen schlechter Schul- oder fehlender Berufsabschlüsse den Anschluss an den Arbeitsmarkt. 12,8 Prozent der Jugendlichen hatten im Jahr 2023 höchstens einen Abschluss der Sekundarstufe eins, zeigt ein kurz vor Weihnachten veröffentlichter Bericht der EU-Kommission. Der Anteil lag deutlich höher als vor zehn Jahren (9,8 Prozent) und oberhalb des EU-Schnitts (9,5 Prozent). Der Anstieg deute auf eine „kritische Situation“ hin, heißt es in dem Bericht. 
Ein ähnlich dramatisches Bild zeigt der jüngste Berufsbildungsbericht des Bundesinstituts für Berufsbildung: Demnach hatten 2018 14,4 Prozent der 20- bis 34-Jährigen keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bis 2022 stieg der Anteil auf 19,1 Prozent, was 2,86 Millionen jungen Menschen entspricht. „Das ist ein erschreckender Anstieg“, sagt Ifo-Bildungsökonom Ludger Wößmann der F.A.Z.

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Früher eine Vier, heute eine Zwei

Belastende Inhalte in Social Media, (Online-)Mobbing, psychologische Auffälligkeiten bei Schülerinnen und Schülern - angesichts dieser Herausforderungen erhob Bildungsforscher Olaf Köller am Mittwochabend bei "Markus Lanz" einen Ruf nach "Schule als Erziehungsort": "Im Unterricht muss Schule bilden und den ganzen Tag muss sie erziehen. Das steht jetzt stärker an als je zuvor.", so Köller. Schule sei auch dazu da, zu Dingen zu motivieren, die keinen Spaß machen. Doch dieser Anspruch an Bildung sei verloren gegangen. Köller erklärte: "Wenn wir höhere Löhne bei weniger Arbeit fordern, damit die Leute sich die Freizeit finanzieren können und nicht etwa mehr Anstrengung honoriert wird, dann ist das ein gesellschaftliches Phänomen, was wir eben auch in Schulen beobachten." 

Mittwoch, 11. Dezember 2024

Schülervertretung und GEW berichten von Versagensängsten bei Viertklässlern

Weinende Kinder, Sorgentelefone: Viertklässler in Baden-Württemberg müssen für die verbindliche Grundschulempfehlung für das Gymnasium an neuen Tests teilnehmen. Der Landesschülerbeirat berichtet von »alarmierenden Zuständen«. 
Bereits nach den ersten Tests erreichten den Landesschülerbeirat von Baden-Württemberg nach eigenen Angaben »zahlreiche Berichte über alarmierende Zustände«: Grundschulkinder seien während der Tests in Tränen ausgebrochen, und Eltern und Lehrkräfte derart verzweifelt gewesen, dass Sorgentelefone eingerichtet worden seien. Auslöser für den Ärger ist die Wiedereinführung der verbindlichen Grundschulempfehlung fürs Gymnasium in Baden-Württemberg und der damit einhergehenden Tests.

Dienstag, 12. November 2024

„Diese Jugendlichen können im Grunde genommen nur klicken und wischen“

„Deutlicher und signifikanter Kompetenzrückgang“: Achtklässler in Deutschland bauen bei den IT-Kenntnissen ab, zeigt eine Studie. Mehr als 40 Prozent sind auf einem Stand, den die Forscher als „sehr besorgniserregend“ bezeichnen. 

Es ist kurios: Kinder der Generation der Digital Natives wachsen seit frühester Kindheit mit digitalen Endgeräten auf. Sie swipen und tippen in einer Geschwindigkeit auf ihren Smartphones herum, dass ihren Eltern Hören und Sehen vergeht. Und doch nimmt das grundlegende Verständnis für die technischen Hintergründe der elektronischen Alltagshelfer immer weiter ab. Das zeigt die „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) 2023, die am Dienstag von der Kultusministerkonferenz vorgestellt wurde. Unter der Leitung von Erziehungswissenschaftlerin Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn werden darin alle fünf Jahre die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlern in Deutschland im internationalen Vergleich getestet. 

Donnerstag, 7. November 2024

"Wenn ich König von Deutschland wäre... würde ich zurückgehen zu einem gestaffelten Bildungssystem"

Gegen eine höhere Qualität in der Bildung kann ja nun niemand ernsthaft etwas haben. Die Frage ist nur, ob alle Beteiligten unter Qualität dasselbe verstehen und ob die angestoßenen Maßnahmen den gewünschten Effekt haben. In Deutschland gibt es angesiedelt an der Humboldt-Universität in Berlin das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, kurz IQB. Was ist dessen Rolle und dient seine Arbeit wirklich der Verbesserung der Bildung im Land? Und wenn nicht, was bräuchten wir denn stattdessen? Darüber sprach Stefan Milius (KONTRAFUNK) mit Professor Dr. Bernhard Krötz, Mathematiker und Hochschullehrer an der Universität Paderborn.

KONTRAFUNK: Herr Krötz, Sie treten unter anderem mit Videos auf YouTube immer wieder als Kritiker des Mathematikunterrichts in Deutschland auf und bemängeln dessen Qualität. Da müsste Ihnen ein Institut wie das IQB ja bestens bekannt sein, das sich der Qualitätsentwicklung in der Bildung verschrieben hat. Aber vor ein paar Monaten haben Sie in einem Video mal erklärt, noch nie davon gehört zu haben. Das müssen Sie uns zunächst mal erklären, wie das kommen kann.

KRÖTZ: Ich bin eigentlich in das Ganze ein bisschen reingerutscht, weil ich ein Video gemacht habe über einen Ländervergleich zwischen dem Abitur in Deutschland und den Aufnahmeprüfungen in Indien für die IITs, die Indian Institutes of Technology. Das fiel verheerend aus. Bis dato war unser Kanal sehr klein mit 15.000 Aufrufen und 150 Abonnenten. Dieses Video hat jetzt bis heute, glaube ich, 300.000 Aufrufe, und innerhalb kürzester Zeit war ich dann in den Medien. Viele Leute wollten mit mir sprechen, und dann habe ich begonnen, auch mit den vielen Zuschriften, die ich von den Zuschauern bekommen habe. Wir haben mittlerweile mehrere Leitzordner gefüllt, um mich mehr in diese Materie einzuarbeiten, und dann bin ich eben auf das IQB gestoßen und was das mit Qualität in der Bildung in Deutschland zu tun hat.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

"Wenn ich im 5. Schuljahr 30 Kinder in einer Klasse haben, dann machen von denen etwa 15 am Schluss Abitur" - ein Mathematiklehrer packt aus

Die Leistungen in Mathematik befinden sich seit Jahren im freien Fall. Dies belegen die von der OECD erhobenen PISA-Studien. Allein der Leistungsrückgang zwischen der PISA-Studie 2018 und 2022 entspricht einem ganzen Schuljahr. Dies gilt auch für den Bereich des Lesens in der deutschen Sprache. Deshalb stellt sich automatisch die Frage, ob die sprachlichen Defizite nicht auch einen negativen Einfluss auf die Leistungen in Mathematik nach sich ziehen. 
Mit Thomas Hechinger, Mathematiklehrer an einem Gymnasium in Baden-Württemberg, sprach Klaus Rüdiger (KONTRAFUNK) über die Folgen der sprachlichen Defizite für den Mathematikunterricht.

Dienstag, 10. September 2024

Die Leistungen werden immer schlechter, die Noten immer besser

Das Gymnasium ist heute die beliebteste und erfolgreichste Schulform. In den Großstädten sind weit über 50 Prozent der Schulabgänger Abiturienten. Auch in meinem ländlich geprägten Landkreis Rotenburg (Wümme) zwischen Bremen und Hamburg haben wir mittlerweile die 40-Prozent-Marke erreicht. Tatsache ist aber auch, dass die Leistungen immer schlechter und die Noten immer besser werden. Ein Paradox, das sich nur darauf zurückführen lässt, dass die Leistungsansprüche gesunken sind. Dies ist das Ergebnis eines langen gesellschaftlichen Prozesses, an dem Politik und Wirtschaft gleichermaßen beteiligt waren. 

Dienstag, 3. September 2024

Bloß keine Kritik! Rasenmäher-Eltern ziehen verweichlichte Jugendliche heran

Es ist traurig, wenn die Schönwettergesellschaft einer reichen Gemeinde einem Fußball-Weltmeister vorschreiben will, wie er ihre Kinder trainieren soll. Kein Wunder, also dass Matthäus hingeschmissen hat. Er tat gut daran. Denn seine Kritik offenbart, was schiefläuft bei der Erziehung. Kennen Sie Grünwald? Nein? Dann leben Sie – im Gegensatz zu mir – nicht in Bayern. Was nicht schlimm ist, so ist es nicht gemeint. Verpasst haben Sie ohnehin nichts. 

Montag, 12. August 2024

Drosten meint: Corona-Maßnahmen waren wegen niedrigen „Bildungsniveaus“ in Deutschland notwendig

Der „Chefvirologe“ Christian Drosten behauptet jetzt, die liberale Ausrichtung in anderen Ländern sei während der Pandemie an das hohe Bildungsniveau gekoppelt gewesen – das hier nicht vorherrscht. Nach der Veröffentlichung der durchgestochenen Krisenstabsprotokolle des Robert-Koch-Instituts jagt Christian Drosten einem Skandal nach dem anderen hinterher. Jetzt behauptet der Virologe im Interview mit der NZZ, die Schweiz habe im Vergleich zu Deutschland liberalere Maßnahmen gegen Covid-19 rechtfertigen können, weil die Menschen dort gebildeter seien.

Donnerstag, 25. Juli 2024

Schulabbrecher-Zahl steigt spürbar – die Bildungsmisere unter Kretschmanns Ägide

Baden-Württemberg
beklagt seit Längerem das absackende Leistungsniveau seiner Schüler, doch ein Gegenlenken will der grün-schwarzen Landesregierung nicht recht gelingen. Die Ergebnisse regelmäßiger Vergleichstests bleiben alarmierend, was Leseverständnis, Sprachkompetenz oder mathematische Grundkenntnisse angeht. 
Und eine andere Entwicklung, auf die jetzt eine Datenanalyse des Südwestrundfunks (SWR) aufmerksam macht, gibt fast noch mehr Anlass zur Sorge: Immer mehr Jugendliche verlassen die Schule ganz ohne Abschluss. Zwar ist das ein Trend, der seit 2013 bundesweit zu beobachten ist. Doch ausgerechnet das einstige „Schafferländle“ Baden-Württemberg liegt mittlerweile über Bundesdurchschnitt – ebenso wie das benachbarte Rheinland-Pfalz. 

Donnerstag, 9. Mai 2024

Gymnasiallehrer beklagen Inflation von Einser-Abitur

Aus Sicht der Gymnasiallehrer in Niedersachsen geht es mit dem Niveau der Abiturprüfungen bergab. «Der Wert der Allgemeinen Hochschulreife befindet sich im Sinkflug, da müssen wir bundesweit gegensteuern», forderte der Vorsitzende des Philologenverbands (PHVN), Christoph Rabbow, am Mittwoch. Die Abiturjahrgänge würden scheinbar immer besser. Eine Inflation der Zeugnisse mit einer Eins vor dem Komma führe aber zu einer Verzerrung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit. «Unsere niedersächsischen Schülerinnen und Schüler haben nach 13 Schuljahren eine faire Leistungsbewertung verdient, da nur diese bei der Wahl von Ausbildung und Studium eine verlässliche Bewertungsgrundlage bieten kann. Leistung muss sich lohnen», sagte Rabbow. 

Sonntag, 21. April 2024

Deutschland hat mehr Akademiker, aber auch einen Höchststand an jungen Menschen ohne Berufsabschluss

Das Handwerk sucht händeringend Nachwuchs. Auf dem Bau und in der Gastronomie bleiben viele Lehrstellen unbesetzt. Der Fachkräftemangel in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren noch zuspitzen und wird zu einer entscheidenden Wachstumsbremse. Doch gleichzeitig nimmt seit dem Jahr 2015 die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss stetig zu. Im vergangenen Jahr lag sie auf einem Rekordhoch. Damit ist ein wachsender Teil junger Menschen abgehängt – ohne berufliche oder akademische Ausbildung. Deutschland nimmt bei dieser Negativentwicklung unter der OECD-Ländern eine Schlussposition ein. Dieser Trend ist sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die Gesellschaft hochproblematisch. Während die Arbeitslosenquote insgesamt im vergangenen Jahr bei rund 5,7 Prozent lag, waren es bei den Ungelernten fast 20 Prozent. Schon jetzt haben rund 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Ausbildung. Etwa die Hälfte von ihnen sind Migranten.

Donnerstag, 4. April 2024

„Ich hatte jeden Tag Angst vor dieser Schul-Hölle“

„Das hier war für mich die Hölle“
, sagt die 64-Jährige als sie zur Mittelschule Reichenbach blickt. Hier wollte die Frau, die einst Archäologie und Kunstgeschichte studiert hatte, eigentlich ihren großen Traum verwirklichen: Lehrerin werden, Kunst und Deutsch unterrichten und die letzten beiden Jahre vor der Rente etwas wirklich Sinnvolles tun. Monate später bleibt nur Verbitterung. 

Mittwoch, 27. März 2024

NRW: Siebtklässler droht, Lehrerin zu enthaupten – „Kein Einzelfall“

Gewalt an Schulen in NRW ist keine Seltenheit, wie eine Umfrage des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen (PhV NRW) ergab. Sabine Mistler, Vorsitzende des PhV NRW und selbst Lehrerin, berichtet von einigen schlimmen Beispielen, die aufhorchen lassen… Sie selbst musste bislang nie Erfahrung mit Gewalt in der Schule machen – doch immer wieder bekommt Mistler von ihren Kollegen aus NRW einige schlimme Beispiele erzählt. Und die Zahlen unterstreichen das: Fast die Hälfte (47 Prozent) aller befragten Lehrer an Gymnasien und mehr als ein Dreiviertel (76 Prozent) der befragten Lehrkräfte an Gesamtschulen waren in den vergangenen Jahren schon einmal persönlich von Gewalt betroffen. Insgesamt 1.500 Lehrkräfte beteiligten sich an der Umfrage. 

Donnerstag, 14. März 2024

Immer mehr packen es nicht - „Klare Hinweise auf Verblödung“: Psychologe rechnet mit Führerschein-Durchfallern ab

Jeder Zweite schafft beim Führerschein die theoretische Prüfung nicht. Psychologie-Professor Florian Becker hat eine harte These: Schuld daran seien nicht äußere Umstände, sondern eine bedenklich abnehmende Leistungsfähigkeit bei Jugend-lichen. 

Besorgniserregende Daten zu unserem Nachwuchs von den Führerscheinprüfungen: Etwa 50 Prozent raffen die Theorie nicht mehr, fallen durch. Jetzt kann das im Einzelfall jedem mal passieren. Aber 50 Prozent? Ein neuer Negativ-Rekord. Für mich ist das ein Hinweis auf das, was wir in der Psychologie gravierende „kognitive Defizite“ nennen. Konkret: Low-IQ, Verdummung. Und fehlende Selbstdisziplin.

Freitag, 8. März 2024

"Wenn Sie keinen Stress haben wollen, geben Sie gute Noten."

Das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Berlin-Neukölln hat im aktuellen Schuljahr einen Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache von 92,4 %. In vielen Grund- und weiterführenden Schulen in Neukölln sieht es genauso aus. Da ist natürlich die Frage berechtigt, welche Folgen das für Unterricht und Lernerfolg hat. Dr. Klaus Rüdiger von KONTRAFUNK hat sich dazu mit dem Neuköllner Lehrer Patrick Mastrandrea unterhalten.

Herr Mastrandrea, ich begrüße Sie.

Ich grüße zurück, Herr Rüdiger. 

Montag, 4. März 2024

Schulleiter packt aus - „Der Lehrer denkt sich: Bevor ich Ärger mit der Familie kriege, gebe ich eine Vier"

Der Pisa-Schock sitzt noch immer tief an Deutschland Schulen. Ein Schulleiter packt anonym über die Stimmung aus und benennt die Hauptprobleme: Die Behörden kommen mit überflüssigen Forderungen, die Eltern mit Anwälten und die Schüler zunehmend unerzogen. Und dann sind da auch noch lustlose, faule Lehrer ... 

FOCUS online: Für den Pisa-Chef kommt das schlechte Abschneiden deutscher Schulen nicht von ungefähr. Die Kritik an der Arbeitsweise und Haltung vieler Lehrkräfte klingt ein bisschen wie „setzen, Sechs“. Hand aufs Herz: Wie schafft man es als Schulleiter, seine Mitarbeitenden unter diesen Umständen bei Laune zu halten? 
Ganz ehrlich, sowas wie die Äußerungen von Schleicher sind wenig hilfreich. Auch Wochen später rumort und grummelt es im Kollegium spürbar. Dabei weiß jeder, der an einer Schule tätig ist, um die Kluft zwischen Bildungsforschung und Realität. Salopp gesagt: Die kriegen doch gar nicht mit, was bei uns läuft. 

Dienstag, 13. Februar 2024

„Das Schulsystem produziert ganz früh strukturelle Versager“

Deutschland steckt im Bildungsdesaster: Zehntausende Lehrerinnen und Lehrer fehlen, mehr als 2,5 Millionen junge Menschen haben keinen Berufsabschluss und im Pisa-Test schnitten Deutschlands Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie nie zuvor. 

Deutschland hat die vierthöchste Schulabbrecherquote in der EU

In Deutschland brechen nach den derzeit aktuellsten Zahlen weiterhin deutlich mehr junge Menschen die Schule ab als im EU-Durchschnitt. Die Bundesrepublik hatte 2022 eine Abbrecherquote von 12,2 Prozent, die EU insgesamt eine von 9,6 Prozent, wie aus Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat hervorgeht, über die zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete. Die deutsche Quote war die vierthöchste nach Rumänien (15,6), Spanien (13,9) und Ungarn (12,4). 

Donnerstag, 1. Februar 2024

Lehrer/innen nur noch Coach oder Lernbegleiter/in?

ein Kommentar von Christina Rüdiger (KONTRAFUNK)

Jeder Mensch, jedes Kind ist etwas Einzigartiges, etwas Besonderes. Das würde niemand bestreiten. Doch muss es deshalb aus dem Klassenverband herausgenommen werden? Braucht es eine sogenannte neue Lernkultur, damit sich das Kind mit seinen ganz speziellen Fähigkeiten vollumfänglich entfalten kann? Ja, sagen uns die Verfechter des individualisierenden Unterrichts. Sie behaupten, bis er kannte man die Schule, den Lehrer, die Schüler und den Lernstoff, der sich aus dem Lehrplan ableiten ließ. Die Schüler trafen sich im Klassenverband, sie lernten gemeinsam. Der Lehrer stand vorne und vermittelte den Stoff. Das soll vorbei sein, so der Tenor der modernen Bildungstheoretiker.

Peter Fratton ist ein radikaler Verfechter des individualisierenden Lernens. Seine Positionen fließen seit 20 Jahren in den Bildungsdiskurs ein und gelten für viele als richtungsweisend. Er sagt: Wenn gleichaltrige Schüler beim gleichen Lehrer zum gleichen Zeitpunkt im gleichen Zimmer mit dem gleichen Lehrmittel das gleiche Ziel erreichen müssen, so wird das dem Einzelnen nicht gerecht. Wir haben solche, die unterfordert sind und sich langweilen, und solche, die gar nicht nachkommen.

Karlheinz Dammer, Professor für allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, hat sich in dem von ihm herausgegebenen Buch "Pädagogisches Neusprech" mit dem Begriff der Individualisierung kritisch auseinandergesetzt. Er sagt, die sogenannte neue Lernkultur ist im Grunde ein Trojanisches Pferd im reformpädagogischen Gewand. Sie ist ein neoliberales Vehikel. Schauen wir uns die vermeintlich neue Lernkultur also genauer an. Beim individualisierenden Unterricht muss der Klassenverband aufgebrochen werden. Schulzimmer darf es nicht mehr geben. Dafür gibt es Lernlandschaften, Lernumwelten, Lernateliers. Aus Klassenkameraden werden Lernpartnerinnen. Mal lernen die Schüler mit den einen, mal mit den anderen oder ganz allein. Lernen erfolgt selbstgesteuert, es werden Lernjobs erledigt. Der Lehrer ist nur noch Coach oder Lernbegleiter. Er steht zur Verfügung, er macht Lernangebote, aber nur auf Wunsch wichtig. Ja, zentral wird das selbstgesteuerte Individuum. Wir lesen Begriffe wie Selbstkompetenz, Selbstregulierung, Selbstmanagement. Wie Dammer aufzeigt, sind sie aus der Managementsprache übernommen.

Und wie wird der Lernerfolg überprüft? Dammer weist nach, die Instrumente sind aus dem betrieblichen Qualitätsmanagement entnommen: Selbsteinschätzungsbögen, Feedbacks, Zielvereinbarungen. Der Schüler arbeitet an Modulen, die ihm sein Coach ganz individuell zusammengestellt hat. Will er vorwärts kommen, muss er die Module abarbeiten. Zusammenhänge, wie sie sich den Schülern im gemeinsamen Klassengespräch erschließen können, so nicht erfasst werden. Das ist auch nicht erwünscht. Gegebene Kompetenzen müssen trainiert werden. Literarische Werke wie Goethe und Schiller? Nice to, aber man braucht sie nicht, weil sie nicht unmittelbar anwendbar, verwertbar, messbar sind. Der Schüler wird so zu einem durch und durch überprüfbaren Bündel von Fertigkeiten. Er wird zur permanenten Selbstkontrolle äußerlich auferlegter Pflichten gedrillt. Dammer sagt, das selbstgesteuerte Lernen ist nur ein Schein von Freiheit und Selbstbestimmung. Von Erziehung, wie wir sie früher von unseren Lehrern kannten, ist keine Rede mehr. Sie wird in diesem Kontext negativ als Beschneidung der Persönlichkeit abqualifiziert. Hören wir uns dazu die vier Urbitten des Schweizer Schulreformers und Individualisierungsapologeten Peter Fratton an: "Bring mir nichts bei, erkläre mir nicht, erziehe mich nicht, motiviere mich nicht!"

Als wäre Erziehung und Klassenunterricht häufig mit dem militärisch klingenden Begriff Frontalunterricht abgewertet, als wäre also das gemeinsame Lernen in der Klassengemeinschaft eine Vergewaltigung der Individualität, als wäre die instruktive Tätigkeit des Lehrers eine Bevormundung, ein Zwang, der die Eigenaktivität des Lernenden verkümmern lässt oder gar verhindert. In Wirklichkeit führt das nicht zur Befreiung der Individualität, sondern zu Beziehungs- und Bindungslosigkeit. Zurück bleibt ein auf sich selbst gestelltes, auf verschiedene Weise einsetzbares Individuum, ein Kind, das, wenn es nicht komplett untergeht, bestenfalls Kompetenzen erworben hat, aber ungebildet im wahrsten Sinne des Wortes. Ihm fehlen die Zusammenhänge, sowohl in der historischen als auch in der kulturellen Tiefe. Kurz: Begriffe wie Erziehung und Bildung tauchen nicht mehr auf. Das neue Ziel sind ökonomisch anpassungsfähige Individuen, jederzeit und an jedem Ort einsetzbar, bereit, den Beruf mehrfach zu wechseln, möglichst isoliert von jeglichen menschlichen Bindungen. Individualisierung, ein trojanisches Pferd mit wohlklingenden Begriffen, soll die Schule radikal umgebaut werden. Ziel ist nicht die Befreiung des Kindes, sondern seine Präparierung für den globalisierten Arbeitsmarkt.

Finnland - vom PISA-Sieger zum Problemfall

Im Interview mit KONTRAFUNK spricht die Schriftstellerin und Mutter Bile Ratut über die aktuellen Herausforderungen im finnischen Bildungssystem. Trotz des früheren Rufs als "Bildungswunder" zeigen die Pisa-Studien, dass die schulischen Leistungen in Finnland seit Jahren sinken. Ratut berichtet, dass ihre Kinder keine richtigen Zeugnisse mehr erhalten und die Schule stark auf Digitalisierung setzt, während die Qualitätskontrollen abgeschafft wurden.

KURZZUSAMMENFASSUNG:

Chaos im Bildungssystem

Ratut kritisiert die mangelnde Struktur im Unterricht und das Fehlen klarer Leistungsanforderungen. Sie beschreibt, dass die Kinder nicht dazu angehalten werden, ordentlich oder diszipliniert zu arbeiten. Stattdessen wird ein Konzept des "Lernens ohne viel Anleitung" propagiert, das in der Praxis jedoch nicht zu funktionieren scheint.

Lehrer als Autorität

Ratut hebt hervor, dass die Rolle des Lehrers in Finnland herabgestuft wurde. Lehrer werden duzend angesprochen, was ihrer Meinung nach die Autorität der Lehrkräfte untergräbt und zu einem unruhigen Klassenraum führt.

Ideologisierung der Bildung

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Überhandnahme ideologischer Inhalte im Unterricht, die oft zugunsten von Faktenwissen vernachlässigt werden. Ratut fordert, dass die Schule sich wieder auf die Vermittlung harter Bildungsinhalte konzentriert, anstatt ideologische Ansätze zu propagieren.

HIER das vollständige Gespräch:

Freitag, 12. Januar 2024

Schwaches Niveau der Klasse beeinträchtigt schulische Leistungen von Zuwandererkindern

Die schulischen Leistungen von Zuwandererkindern leiden einer aktuellen Studie zufolge besonders, wenn viele leistungsschwache Mitschülerinnen und -schüler in einer Klasse sind. Das haben Forscherinnen vom ifo-Institut und der Universität Mailand-Bicocca anhand von Daten aus Italien herausgefunden. Ihre Ergebnisse stellten sie am Freitag vor.